DER SCHNELLSTE MANN ALLER ZEITEN IM INTERVIEW: USAIN BOLT VERRÄT, OB ER NOCH SCHNELLER HÄTTE SEIN KÖNNEN – UND WARUM ES SO WICHTIG IST, IMMER SCHÖN ENTSPANNT ZU BLEIBEN.

 

Mister Bolt, bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin haben Sie mit 9,58 Sekunden einen Fabelweltrekord über die 100-Meter-Distanz aufgestellt. Ist das heute noch präsent? Oder doch schon lange her?

Irgendwie ist dieser Abend weit weg und doch ganz nah. Wenn ich heute daran zurückdenke, spüre ich noch immer eine besondere Energie. Erst die Stille vor dem Start, dann jubelnde Menschen und ein Meer blitzender Kameras. Das Stadion war elektrisiert, wie aufgeladen. Es waren beinahe unwirklich intensive Augenblicke. Ich habe diese Energie in mich aufgesogen und einfach nur genossen. Und dann begann natürlich ein ziemlicher Hype …

Ist Ihnen der Trubel um Ihre Person schon mal zu viel geworden?

Nein, ganz im Gegenteil, ich mag das. Außerdem war das Rennen wichtig für meine Karriere. Bis dahin waren viele Beobachter der Meinung, ich hätte nur deshalb so oft gewonnen, weil ich noch nicht im bestmöglichen Starterfeld bestehen musste. Ich war nach Berlin gekommen, um allen zu zeigen: Egal, gegen wen ich laufe, ich schlage sie alle! Das war nach dieser WM geklärt.

»Ich konnte schon als Kind nicht stillsitzen. Meine Mutter behauptet sogar, ich habe schon in ihrem Bauch mit dem Laufen begonnen.«

Usain Bolt

Experten sind der Ansicht, Ihre Dominanz habe auf der Fähigkeit basiert, die Körpergröße von 1,95 Meter so gut koordinieren und die Hebelwirkung in riesigen Schritten auf die Bahn bringen zu können. Halten auch Sie das für den Grund Ihrer Überlegenheit?

Zweifellos habe ich ein besonderes Bewegungstalent. Ich konnte schon als Kind nicht stillsitzen. Meine Mutter behauptet sogar, ich habe schon in ihrem Bauch mit dem Laufen begonnen. Und mit meinen längeren Beinen habe ich wohl einen Vorteil gegenüber den kleiner gewachsenen Athleten.

Sieht fast so aus, als sei der große Sprinter der Typ der Zukunft. Wird es ein Comeback der gedrungenen, mit extremen Muskeln bepackten Läufer geben?

Ich denke, die kleineren Jungs haben schwere Zeiten vor sich. Schließlich habe ich den Großen gezeigt, wie schnell sie sein können. Deshalb werden in Zukunft auch solche Athleten darüber nachdenken, sich auf den Sprint zu konzentrieren. Die Konkurrenz durch groß gewachsene Sprinter wird also zunehmen. Wenn sie die Kraft und die Koordination mitbringen. Und natürlich den Willen, das auch durchzuziehen und früh an sich zu arbeiten.

 

 

Wenn man Monate und Jahre für Wettkämpfe trainiert, die sich innerhalb weniger Sekunden entscheiden. Wie bleibt man da fokussiert?

Du musst locker bleiben. Wenn du nervös bist, wenn die Anspannung zu hoch ist, dann wirkt sich das direkt auf deinen Körper und deine Muskulatur aus. Du verkrampfst und verlierst an muskulärer Leistungsfähigkeit. Schnelle Zeiten sind nur möglich, wenn du absolut relaxed bist.

Sind Ihre berühmten Showeinlagen vor dem Start also auch Teil einer Strategie gewesen, möglichst locker zu bleiben?

Strategie würde ich nicht sagen. Aber es hilft auf jeden Fall. Außerdem bin ich der Meinung, dass es ein Teil des Jobs ist. Ich laufe ja nur für wenige Sekunden. Die Leute kommen dennoch ins Stadion, also unterhalte ich das Publikum und bereite den Menschen ein wenig Freude. Das passt zu mir, ich bin einfach so. Schon im Alter von 15 Jahren habe ich in Richtung Tribüne gegrüßt. Dann habe ich gemerkt, dass die Leute das mögen und habe noch ein bisschen mehr Flair dazu gepackt.

Nie nervös gewesen? Auch nicht vor einem großen Finallauf?

Nein, nicht wirklich.

Warum nicht?

Weil ich wusste, dass ich gewinnen werde (lacht). Jedenfalls dann, wenn ich in Form bin. Nach einer Verletzung konnte es schon mal vorkommen, dass ich ein gewisses Maß an Aufregung verspürt habe. Weil ich wusste, dass ich zu schlagen bin. Aber mein Coach hat mir gesagt: Usain, niemand gewinnt jedes Rennen. Und das ist auch nicht wichtig! Das habe ich mir zu Herzen genommen. Solche Rennen kannst du nutzen, um deine Schwächen zu analysieren.

Niederlagen haben also auch etwas Gutes?

Niederlagen sind die größte Chance, besser zu werden. Nach Möglichkeit sollte man sich das Verlieren allerdings für die unwichtigen Rennen aufheben.

2009 pulverisierte Usain Bolt seine eigenen Bestzeiten und stellte über 100 Meter und 200 Meter zwei neue Weltrekorde auf.

Als Profisportler ist ein disziplinierter Lebensstil unabdingbar. Nervt das nicht?

Überhaupt nicht. Ich habe in all den Jahren beobachtet, wie sich Stars in anderen Sportarten verhalten. Viele von ihnen sind hochtalentiert und verordnen sich höchste Disziplin. Und dann? Packen sie es irgendwann nicht mehr. Der Druck wird zu groß, sie haben Angst etwas im Leben zu verpassen. Und auf einmal flippen sie aus und produzieren einen Riesen-Eklat. Ich habe nicht aufs Nachtleben verzichtet. Allerdings wusste ich, wann die Party zu Ende sein muss. Wenn du dir zu viele Dinge verbietest, machst du dich doch nur verrückt. Und das macht dich mit Sicherheit nicht besser in dem, was du tagtäglich tust und erreichen möchtest.

In Ihrer Biographie steht zu lesen, dass Sie noch schneller hätten sein können, wenn Sie mehr trainiert hätten. Lassen Sie das so stehen?

Was ich damit sagen will, ist folgendes: Eine Karriere erstreckt sich über viele Jahre. Und innerhalb eines solchen Zeitraumes gibt es Schwankungen in der Trainingsintensität. Ich habe mir einfach herausgenommen, ab und zu vom Gas zu gehen. Wir sind alle nur Menschen. Aber natürlich gab es auch Zeiten, in denen ich wirklich das Maximum aus mir herausgeholt habe.

Nämlich?

Das härteste Training habe ich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Peking 2008 absolviert. Da habe ich alles gegeben. Wirklich: alles. Ich wollte perfekt austrainiert in Peking an den Start gehen. Wochenlang habe ich nur trainiert, gegessen und geschlafen. So hatte ich das nie zuvor durchgezogen. Und das war es, was ich in meiner Biographie ausdrücken wollte. Vielleicht hätte ich noch länger so hart trainieren können und wäre dann 2009 sogar noch schneller gewesen.

Vielleicht wären Sie aber auch irgendwann ausgeflippt.

Tja …

Sie sind der große Star der Leichtathletik. Welche Kollegen bewundern Sie für das, was sie in ihren Sportarten darstellen und erreicht haben?

Ich bin ein großer Fan von Basketball und insbesondere von Kevin Garnett. Er ist einfach unglaublich talentiert und arbeitet hart an sich. Auch Rafael Nadal ist eine faszinierende Persönlichkeit, ein echter Kämpfer. Und dann bewundere ich Fußballspieler wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Mit ihren Fähigkeiten bereiten sie Millionen von Menschen große Freude. Und das ist das Größte, was ein Sportler erreichen kann.

»Genießt, was ihr tut! Und wenn es euch keinen Spaß macht, dann tut es nicht.«

Was war der beste Rat, den Sie je erhalten haben?

Oh Mann, das ist schwer zu beantworten: Ich habe so viele Ratschläge bekommen (überlegt) … ich denke, das war mein Vater. Als ich von der High School kam, wollte ich unbedingt Kricketspieler werden. Er nahm mich zur Seite und sagte: Mein Sohn, ich weiß, du liebst Kricket. Aber hör’ mir jetzt bitte zu: Vergiss’ Kricket. Konzentrier dich auf Leichtathletik!

Kein schlechter Tipp …

Ja, wirklich. Er meinte: Kricket ist ein Teamsport. Es kommt darauf an, wie die anderen spielen. Leichtathletik machst du alleine. Und wenn du hart an dir arbeitest, wirst du sehr gut darin werden. Da dachte ich mir: Okay, das klingt cool! So machen wir das.

Gibt es einen Tipp, den Sie anderen Sportlern geben würden?

Vergesst Kricket! Macht Leichtathletik (lacht).

Und noch einen allgemeinen Hinweis?

Genießt, was ihr tut! Und wenn es euch keinen Spaß macht, dann tut es nicht. Ich habe so viele Menschen erlebt, die Tag für Tag Dinge tun, die sie gar nicht machen möchten. Darin wirst du niemals richtig gut werden. Egal, wie hart du an etwas arbeitest. Wenn du es liebst, ist es keine Arbeit. Nur dann genießt du dein Leben und wirst Großes erreichen. Sonst artet das alles in Stress aus.

Wie kommen Sie runter, wenn es mal zu viel wird?

Beim Domino-Spielen mit meinem Trainer kann ich abschalten. Oder beim Musikhören. Hin und wieder lese ich auch ein Buch. Irgendwer hat mir mal Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ in die Hand gedrückt. Das habe ich mit Sicherheit schon zehnmal gelesen. Dieses Buch hat mich wirklich schwer fasziniert.

Warum?

Erst einmal ist es schnell zu lesen (lacht). Es ist ein kurzes Buch, aber sehr ehrlich und vollkommen in seiner Aussage. Es handelt davon, dass der Mensch an sich glauben muss. Und dass er dafür lebt, was er liebt.

Interview by Axel Rabenstein, published in SPORTaktiv 5/2014, WELT am Sonntag 34/2014; FITforLIFE 11/2014, SPORTMAGAZIN 9/2014

 

USAIN ST. LEO BOLT WURDE AM 21.8.1986 IN TRELAWNY (JAMAIKA) GEBOREN. IM ALTER VON 15 JAHREN WURDE ER 2002 JUNIORENWELTMEISTER, EIN JAHR SPÄTER BLIEB ER ÜBER 200 METER ALS BIS HEUTE EINZIGER JUNIOR UNTER 20 SEKUNDEN (19,75). BEI DEN OLYMPISCHEN SPIELEN 2008 IN PEKING HOLTE ER GOLD ÜBER 100 METER, 200 METER UND MIT DER 4X100 METER STAFFEL, JEWEILS IN WELTREKORDZEIT. 2009 STELLTE ER BEI DER WM IN BERLIN MIT 9,58 SEKUNDEN ÜBER 100 METER SOWIE 19,19 SEKUNDEN ÜBER 200 METER ZWEI NEUE FABELWELTREKORDE AUF. INSGESAMT GEWANN ER ACHTMAL OLYMPISCHES GOLD UND WURDE ELFMAL WELTMEISTER.

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Photos: PUMA; pixabay.com; Axel Rabenstein