ER GEWANN DEN BERÜCHTIGTEN „ISRAMAN“ UND TRIUMPHIERTE MIT GEBROCHENER WADE BEIM „OSTSEEMAN“. WER MIT TILL SCHRAMM ÜBER SEINE KARRIERE SPRICHT, DER SPÜRT GENAU: DIESER MANN HAT EIN ECHTES KÄMPFERHERZ.

 

Till, hinter uns liegt ein besonderes Jahr. Corona hat vieles verändert. Worauf fokussierst du dich? Was tust du und wie trainierst du?

Für mich war dieses Jahr wie ein fiktives Planspiel. Ab März war ich zu 95 Prozent in Rennform. Nicht auf 100 Prozent, aber eben jederzeit bereit. Immer wieder habe ich auf ein Rennen hintrainiert, und dann ist es ausgefallen. Der Spannungsbogen war hoch und wurde eigentlich nie richtig unterbrochen.

War das anstrengend?

Absolut. Es gab zwar einige körperliche Ruhephasen, aber mental gab es kaum Pausen. Hier hat mir die Erholung gefehlt. Nach einem erfolgreichen Rennen gönnt man sich gerne mal ein paar Tage des Abschaltens und kommt runter. Stattdessen lag der Fokus fortlaufend auf dem nächsten Rennen, das stattfinden könnte.

»Ich habe die Top-Form an den Nagel gehängt, ein Stück Kuchen gegessen und mir ein Glas Rotwein eingeschenkt.«

Till Schramm

Welche Rennen wären das gewesen?

Mein Saison-Highlight hätte im Juli der Ironman Frankfurt sein sollen. Der wurde erst verschoben, dann abgesagt. Der Ironman Italien im September fiel ebenso ins Wasser. Im Oktober stand der Ironman 70.3 in Luxemburg auf dem Zettel. Da war ich noch einmal heiß, bis auch der abgesagt wurde.

Und dann?

Habe ich die Top-Form an den Nagel gehängt, ein Stück Kuchen gegessen und mir ein Glas Rotwein eingeschenkt. Im August war ich in einer Form, die ich so vielleicht noch nie hatte. Nicht an den Start gehen zu können, war frustrierend. Der Workload als Ironman-Profi ist hart. Wenn man sich extremes Schuften für absolute Rennform auferlegt, dann muss klar sein, wohin die Reise geht. Mit 35 Jahren bin ich nun im besten Ausdaueralter. Ich weiß, was ich tun muss. Aber man muss mit seiner Energie haushalten. Ich brauche Sinnhaftigkeit. Ein mit verrückten Trainingsblocks vollgepacktes Jahr schneidet tief ins Privatleben ein. Ohne klares Ziel ist das inzwischen schwer für mich zu rechtfertigen.

Was war das Positive an diesem Jahr?

Ich habe beim Tapering experimentiert, wie ich in den letzten zwei Wochen vor einem Wettkampf die Belastung steuern kann, um bestmöglich ins Rennen zu gehen. In einer anderen Saison hätte ich mich das vielleicht nicht getraut. Das war echtes Detail-Tuning und durchaus wertvoll. Aber zum Ende dieser Saison muss ich sagen: Die Rennen haben mir schon sehr gefehlt. Glückshormone sind wie eine Droge für einen Sportler. Wer einmal gewonnen hat, der will es immer wieder.

2018 hast du den berüchtigten „Israman“ gewonnen, der als eine der härtesten aller Langdistanzen gilt. Macht das glücklich?

Im Ziel definitiv. Aber bis dahin ist es ein langer Weg. Das Schwimmen im Roten Meer ist angenehm, im Januar sind die Temperaturen in Israel frühlingshaft. Dann geht’s hoch in die Negev-Wüste, wo es 2018 Temperaturen von 2 bis 6 °C hatte. In dieser kalten Mondlandschaft sind 3.100 Höhenmeter zu bewältigen. Der Wechsel zum Laufen findet hier oben statt, von dort rennst du erst einmal bergab. Meine Beine haben sich nach 10 Kilometern angefühlt, wie sonst gegen Ende des Marathons. Ganz ehrlich: So ein Rennen ist auch eine quälende Erfahrung.

Was zieht dich doch wieder auf die Strecke. Die pure Lust auf Erfolg?

Auch. Aber Triathlon bedeutet für mich deutlich mehr. Es sind die Erfahrungen, die über den Sport hinausgehen. Auf den Philippinen bin ich durch eine ehemalige U.S. Navy Base geschwommen. In Vietnam ging es an Bunkern der Roten Khmer vorbei. Und im Mittleren Osten gibt es eine ganz besondere Ausdauer-Community, hier fallen sich im Ziel schon mal ein Milliardär und ein indischer Arbeiter verschwitzt in die Arme. Die Welt wird auf das Menschliche reduziert, auf authentische Emotionen. Das ist es, was den Triathlon für mich so besonders macht.

»Seit diesem Tag weiß ich, was Adrenalin bewirken kann.«

Till Schramm

Was war bis heute dein härtester Rennmoment?

Der Ostseeeman 2017.

Die Antwort kam schnell …

Da muss ich auch nicht lange überlegen. Ich bin mit dem Rad gestürzt und habe mir das Wadenbein angebrochen. Trotzdem bin ich auf die Laufstrecke, wo der Knochen bei Kilometer 28 in einer Aufwärtspassage schließlich durchgebrochen ist.

Autsch. Und dann war das Rennen zu Ende?

Nein. Der Führungsfahrer auf dem Fahrrad sagte mir, dass ich 13 Minuten Vorsprung habe. Mir war schlecht vor Schmerz, aber ich bin weitergerannt. Ich musste mir sogar am Bein ziehen lassen, um die schief stehenden Knochen wieder einigermaßen gerade aufeinander zu platzieren. Seit diesem Tag weiß ich, was Adrenalin bewirken kann. Ich war im absoluten Not-Modus, wie in einem Überlebenskampf. Und das, obwohl es nur ein sportlicher Wettkampf war.

Was kam am Ende raus?

Ich bin tatsächlich ins Ziel gehumpelt und habe gewonnen. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Das muss ich auch nicht noch einmal erleben. Aber es hat mir gezeigt, zu was ich in der Lage bin. Am Ende war es ein Erlebnis, an dem ich mich noch heute orientieren kann: Es schenkt mir Kraft in besonders schweren Rennsituationen.

Im Jahr 2016 ist einer deiner beiden Söhne gestorben. Wie nahe warst du damals einem vorzeitigen Karriereende?

Es war eine harte Zeit. Dass ich mich zurückgekämpft habe, ist mein großer Sieg.

Was hat sich seitdem verändert?

Meine Perspektive. Viele Sportler lassen sich wie Helden feiern, das halte ich für übertrieben. Denke ich in Zeiten von COVID-19 an Intensiv-Pfleger im Krankenhaus, sind sie die wahren Helden. Ich habe meine sportlichen Ziele. Ich will mir zeigen, zu was ich in der Lage bin. Ich will meine Power spüren. Gleichzeitig weiß ich, dass es Wichtigeres gibt, als einen Marathon noch einmal zwei Minuten schneller zu laufen.

Was ist deine Botschaft?

Wir sollten unser Leben genießen. Uns glücklich schätzen, wenn es uns gut geht. Wir befinden uns nicht immer nur auf der Sonnenseite. Es gibt Menschen, denen es schlecht geht. Wenn ich nur einigen wenigen von ihnen Mut machen kann, dann habe ich sehr viel erreicht.

Interview by Axel Rabenstein for uvex sports (2020)

 

TILL SCHRAMM WURDE AM 20. MÄRZ 1985 IN KÖLN GEBOREN. 2006 WURDE ER U23-WELTMEISTER IM DUATHLON, 2008 DEUTSCHER ALTERSKLASSEN-MEISTER (AK 20-24) AUF DER TRIATHLON-LANGDISTANZ. SEIT 2010 ALS PROFI UNTERWEGS, SIEGTE ER VIERMAL BEIM „OSTSEEMAN“. IM JAHR 2018 GEWANN ER DEN „ISRAMAN“ IN EILAT, IN DEN WELTWEITEN CHALLENGE- UND IRONMAN-SERIEN HOLTE ER ÜBER DIE HALB- SOWIE LANGDISTANZ ZAHLREICHE TOP10-ERGEBNISSE.

WWW.TILLSCHRAMM.COM

 

Photos: Till Schramm