MIT SEINEM BRUDER BILDET ER DAS LEGENDÄRE DUO DER „HUBERBUAM“: IM INTERVIEW SPRICHT THOMAS HUBER ÜBER GRENZEN, WIEDERGEBURT UND DEN MUT ZUM NEINSAGEN.

 

Thomas, du hast dein ganzes Leben dem Klettern gewidmet. Was ist das Faszinierende an den Bergen? Was suchst du dort?

In den Bergen finde ich Freiheit und Ruhe. Der Weg zu meinem inneren Frieden geht über die Berge. Dort spüre ich, dass ich lebe.

Warum gerade in den Bergen?

Das Einzigartige an den Bergen ist, dass man dort Gebiete findet, die absolut wild sind, absolut unberührt. Der Berg ist wunderschön, es ist die pure Wildnis. Der Berg birgt viele Geheimnisse in sich.

Welche Geheimnisse?

Bei jedem neuen Weg muss man sich fragen, ob man ihn überhaupt gehen kann. Und der Berg bietet dir unendlich viele Wege. Einen Berg musst du verstehen. Berge können gefährlich sein, das Leben bedrohen. Aber durch Wissen und Erfahrung kann man lernen, den Berg zu verstehen. Das mache ich jetzt seit Jahren. Und der Berg hilft mir dabei, meine persönlichen Grenzen auszuloten.

Wie macht das der Berg?

Der Berg gibt dir eine Aufgabe und du kannst sie lösen. Nur, dass es dem Berg ziemlich egal ist, ob du die Aufgabe am Ende wirklich löst.

Der Berg hat kein Mitleid …

Richtig. Ich spüre in den Bergen, wie vergänglich der Mensch ist. Man muss nur mal einen Stein in die Hand nehmen: Ein Stein ist fast unzerstörbar, und keiner gleicht dem anderen. Ich finde, dass Berge etwas Göttliches haben. Oben auf dem Gipfel ist man Gott eindeutig näher. Ich bin gläubig, auch wenn ich nicht der klassische Kirchgänger bin. Meine Kirche ist die Natur und mein Weg zu Gott geht über die Berge.

Das ist ein ziemlich anstrengender, ein steiniger Weg. Man kann doch auch am Strand entlang spazieren. Warum hast du dir den Weg über die Berge ausgesucht?

Ich habe mir diesen Weg nicht ausgesucht.

Sondern?

Wenn ich am Meer aufgewachsen wäre, dann wäre ich vielleicht Surfer geworden. Aber meine Kindheit habe ich hier in den Bergen verbracht und mein Vater war selbst Bergsteiger. Es war nie mein Ziel, professionell zu klettern. Es hätte alles sein können. Aber egal was, ich hätte es auf jeden Fall extrem und auf meine eigene Art und Weise getan.

»Ich möchte den Menschen den Mut geben, aus ihrem Alltagstrott und ihrer Lethargie auszubrechen.«

Thomas Huber

Kann man mit solchen Extremen das Schicksal herausfordern?

Nur, wenn man dumm ist, fordert man das Schicksal heraus. Pech kann man natürlich immer mal haben, aber wenn du es klug anstellst, dann hast du den Mut zum Neinsagen. Ich habe schon so oft Nein gesagt. Das Gefühl kann dir sagen, dass du umdrehen sollst. Und darauf musst du hören. Wenn ich an die Grenze gehe, ist es keine Herausforderung, sondern ganz klar kalkuliert. Ich habe schon oft gesagt: Aus jedem Misserfolg kann ein viel größerer Erfolg entstehen. Als Grenzgänger musst du aus deinen Fehlern lernen.

Aber sind Grenzen dazu da, sie einzuhalten oder zu überschreiten?

Ganz klar, um sie zu überschreiten. Das ist doch keine Frage! Stell dir vor, du hättest den schönsten Berg bestiegen. Und dann? Was kommt dann? Das wäre schon eine Grenze, aber es geht immer weiter, egal wie alt du bist. Ich möchte immer weiter hinter den Horizont schauen. Genau dadurch ist das Leben doch grenzenlos, genau wie meine Ziele es sind. Man muss sich immer wieder die eigenen Grenzen suchen und darüber hinausgehen. Das ist der Reiz an den Bergen, der Reiz am Klettern, der Reiz am Bergsteigen.

 

 

Du stehst oben auf dem El Capitan, der Tag geht zu Ende, zu deinen Füßen liegt der Yosemite Nationalpark und hinter dir knistert das Lagerfeuer. Woran denkst du? Alltagssorgen?

Stimmt schon, manchmal ist man gefangen von seinen Sorgen und Ängsten. Aber in so einem Moment, wenn ich dort oben die Sonne untergehen sehe, dann spüre ich einfach nur Dankbarkeit. Weil es irrsinnig schön ist und weil ich so etwas erleben darf.

Was soll von dir auf dieser Welt zurückbleiben?

Meine Kinder. Ich mache das nicht für andere, da habe ich mich mittlerweile geändert. Ob ich irgendwelche Rekorde aufstelle, ob ich irgendwann Geschichte geschrieben habe, das ist mir egal. Aber was ich den Menschen geben möchte, ist der Mut, aus ihrem Alltagstrott und ihrer Lethargie auszubrechen. Beim Kuckuck, ich bin ja teilweise wie ein Missionar. Ich habe bei meinen Vorträgen schon Menschen kennengelernt, denen es richtig mies gegangen ist.

Andere Kletterer?

Nein, ganz normale Leute. Die hören sich meine Geschichten an und dann schreiben sie mir Dankesbriefe, weil sie durch mich wieder Energie für ihr eigenes Leben geschöpft haben.

»In einer komplett industrialisierten Welt suchen wir Bergsteiger das Elementarste im Leben: das Überleben.«

Thomas Huber

Du trägst ein Tattoo des indischen Gottes „Shiva“ auf dem Rücken. Ist das ein Symbol für deine Lebensenergie?

Ich war in Indien unterwegs und habe das Motiv in einem Tempel gesehen. Es ist das Symbol des Lebens, steht für Zerstörung und Neubeginn. Tod und Geburt, das sind definitiv die größten Events im Leben, sie rahmen es ein. In einer komplett industrialisierten Welt suchen wir Bergsteiger das Elementarste im Leben: das Überleben.

Warum ist das Überleben das Elementarste?

Stell dir vor, du stehst nackt im Dschungel. Worum geht es dann noch?

Ums Überleben?

Genau. Wenn jemand einmal in seinem Leben knapp überlebt hat, dann wird er noch 20 Jahre später davon erzählen, als wäre es gestern gewesen.

Wenn du den hinduistischen Gott „Shiva“ auf dem Rücken trägst: Glaubst du an Wiedergeburt?

Ja, ich denke schon. In welcher Form kann ich nicht sagen, so weit bin ich noch nicht. Klar, ich bin Christ und das Christentum hat einen anderen Glauben, eine andere Tradition. Aber stellen wir uns mal vor, die Religion ist ein Berg. Dann besteigen die Moslems die Südwand, die Buddhisten gehen im Osten hoch, die Christen meinetwegen im Westen und die Hinduisten über die Nordwand. Es sind verschiedene Routen, aber am Ende zielt es auf dasselbe ab … auf den Gipfel.

Mal angenommen, du wirst wiedergeboren. Welches Tier wärst du gerne?

Ein Adler.

Warum?

Weil er frei fliegen kann. Er ist erhaben, er hat Kraft, er befliegt die Berge. Ich fliege auch gerne, aber derzeit nur mit dem Fallschirm.

Könnte es einen Grund geben, dass du eines Tages die Reißleine ziehst und von heute auf morgen sagst: So, das war’s?

Nein, für mich selbst kann es keinen Grund geben. Es sei denn, es wäre etwas mit meiner Familie. Ich bin verheiratet, habe zwei Söhne und eine Tochter. Meine Familie ist die absolute Nummer eins. Aber sie wird mich nie vor die Entscheidung stellen, entweder wir oder die Berge. Sie haben mich als Bergsteiger kennengelernt. Würden sie verlangen, dass ich damit aufhöre, dann wäre ich nicht mehr der, den sie kennen.

Und wen kennen Sie?

Thomas Huber, den Bergsteiger.

Interview by Axel Rabenstein, published in TOPTIMES 3/2007

 

THOMAS HUBER WURDE GEMEINSAM MIT SEINEM BRUDER ALEXANDER ALS KLETTER-DUO „HUBERBUAM“ WELTBERÜHMT. BESONDERS SPEKTAKULÄR WAR IHR SPEED-REKORD (2007) AN DER „NOSE“ DES EL CAPITAN IM YOSEMITE-NATIONALPARK. GEÜBTE SEILSCHAFTEN BENÖTIGEN FÜR DIE 1.000 METER HOHE FELSWAND MEHRERE TAGE, DIE BEIDEN BRÜDER SCHAFFTEN ES IN 2:45:45 STUNDEN. ZULETZT SORGTE THOMAS HUBER IMMER WIEDER MIT EXPEDITIONEN IN PATAGONIEN SOWIE IM KARAKORUM UND HIMALAYA FÜR AUFSEHEN.

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Photos: Heinz Zak, Michi Meisl, Timeline Productions / adidas; Huberbuam; Alamy