VIERMAL GEWANN SIE DAS LEGENDÄRE LEADVILLE 100. UND NOCH IMMER SCHEINT REBECCA RUSCH KEIN BISSCHEN MÜDE ZU SEIN. WIE DAS FUNKTIONIERT? GANZ EINFACH! MIT EINER EXTRAPORTION LEBENSFREUDE.
Rebecca, du strahlst einfach pure Lebensfreude aus. Woher kommt das?
Ich denke, dass man seine Lebensfreude von Natur aus hat. Nur darf man sie eben nicht verlieren.
Und wie behält man sie?
Indem man neugierig bleibt! Als Kind suchen wir das Abenteuer. Dann werden wir erwachsen, wir gehen zur Arbeit, wir haben viel zu tun, wir sind gestresst … und irgendwann hören wir auf, das Neue zu suchen. Viele Leute sind gelangweilt, weil sie immer das gleiche tun. Als Kind geht man mit dem Rad auf Entdeckungstour durch die Nachbarschaft, nur zwei Straßen weiter erscheint einem die Umgebung wie eine andere Welt. Wenn man sich diese Abenteuerlust erhält, dann bleibt auch die Lebensfreude.
Als die Nachbarschaft entdeckt war, hast du mit dem Cross Country Laufen begonnen. Angeblich nur, weil du nicht dick werden wolltest …
Ich bin in keiner besonders sportlichen Familie aufgewachsen. Und als ich in die High-School kam, hatte ich auf einmal schreckliche Angst, dass ich fett werde. Weil ich so gerne Würstchen esse. Und Käse. Also habe ich angefangen zu laufen, und so bin ich zum Sport gekommen, der schließlich mein ganzes Leben geprägt hat. Ich wollte viel erleben, bin geklettert, Kajak gefahren und habe so viel Zeit wie möglich draußen in der Natur verbracht.
»Selbst wenn ich mich drei Stunden auf dem Rad verausgabt habe, komme ich mit mehr Energie zurück.«
Rebecca Rusch
Ziehst du viel Energie aus der Natur?
Und wie! Manchmal habe ich keine Lust aufs Training oder fühle mich einfach müde. Dann gehe ich raus und blühe richtig auf. Selbst wenn ich mich drei Stunden auf dem Rad verausgabt habe, komme ich mit mehr Energie zurück. Das Blut kommt in Bewegung … meine Beine mögen müde sein, aber ich selbst fühle mich viel stärker als vorher.
Was ist so schön am Radfahren?
Ich lebe hier in Idaho, weil ich direkt von meiner Haustür raus in die Wildnis fahren kann. Ich sehe nur die Berge und keine Menschenseele. Das tut unglaublich gut. Ich habe in Chicago und Los Angeles gelebt. Das sind wunderbare Orte, aber dort gibt es eine Menge Menschen und Autos. Ich muss regelmäßig in die Natur, um mich lebendig zu fühlen.
Deshalb waren Abenteuerwettkämpfe wie die „Eco Challenge“ auch wie gemacht für dich …
Das war wirklich großartig. Wir haben im Team eine ganze Woche lang Disziplinen wie Reiten, Klettern oder Rafting absolviert. Dann hat sich aber das Fernsehen aus der Übertragung zurückgezogen … und plötzlich hatten wir keine Sponsoren mehr. Nur mit Red Bull hatte ich noch einen Vertrag über ein weiteres Jahr. Die sagten mir, ich solle mir einfach eine andere Sportart suchen.
Und so bist du zum Mountainbiken gekommen?
Ich wusste, dass die Ausdauer meine große Stärke ist. Also dachte ich mir: Hey … probier’s mal damit! Ehe ich wieder einen normalen Job machen muss. Also habe ich mich für ein 24-Stunden-Rennen angemeldet und gewonnen. Ich war sogar schneller als die Kerle.
Kurz darauf bist du dann US-Meisterin geworden. Mit 38 Jahren …
Ja, das war mein zweites Rennen. Meine Sponsoren Red Bull und Specialized waren glücklich. Und ich war auf einmal Mountainbike-Profi. Obwohl ich das Radfahren nie so sehr gemocht habe.
Du hast es nie gemocht?
Nicht besonders. Aber inzwischen hat’s mich voll gepackt. Am besten ist das Fahren in der Nacht.
Mit einer Lampe am Helm durch die Dunkelheit?
Ganz genau. Wer das noch nicht getan hat, dem lege ich es unbedingt ans Herz! Es ist wie in einem Computer-Spiel. Du fährst durch einen Tunnel, die Zeit fliegt vorbei, du siehst kaum etwas von der Umgebung, sondern nur die Spur, in der du fährst. Für mich ist das ein extremer Fokus, ich bin total konzentriert. Du wirst hypersensitiv, achtest auf jedes Geräusch, hörst Grillen und Eulen … das ist wirklich einmalig. Es erinnert mich an meine Kindheit, wenn ich alleine im Wald unterwegs war. Im Dunkeln zu fahren ist ein wundervolles Abenteuer.
»Je härter das Rennen war, desto größer ist am Ende die Zufriedenheit«
Rebecca Rusch
Nun bist du fast 45 Jahre alt und zählst zur absoluten Weltelite der Ausdauer-Biker. Kommt dir das nicht selbst ein wenig seltsam vor?
Auf dem Papier sollten mich die Zwanzigjährigen schlagen, aber ich bin eben schneller. Ich meine … das ist schon cool, oder? Ich fühle mich jung und stark. Bei Ausdauersportarten ist außerdem die Erfahrung ein großer Vorteil, weil du deinen Körper besser kennst und geduldiger bist. Ich freue mich einfach darüber, dass es mir vergönnt war, mit 38 Jahren eine neue Karriere als Mountainbike-Profi zu starten. Und für alle anderen ist es eine tolle Botschaft, die so viel bedeutet wie: Warum eigentlich nicht? Es ist niemals zu spät …
Merkst du nicht, dass dein Körper längere Erholungsphasen benötigt?
Doch, natürlich. Aber auch das muss kein Nachteil sein. Ich bin überzeugt davon, dass viele junge Athleten einfach viel zu viel trainieren. Weil sie denken, sie wären untätig, wenn sie mal einen Tag Pause machen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Du musst dich verausgaben und erholen. Es ist ein Nehmen und ein Geben, nur so kannst du stärker werden. Bei mir sind die Leute immer überrascht, wenn sie erfahren, dass ich nicht mehr als 12 oder 15 Stunden in der Woche auf dem Rad sitze. Ich trainiere weniger als früher – und trotzdem bin ich schneller …
Und was machst du, wenn du in einem Wettkampf mal vollkommen am Ende bist?
Diesen Punkt erreiche ich in jedem Rennen. Und eigentlich auch in jedem Training. Das ist der Moment, in dem das Gehirn ins Spiel kommt. Man denkt sich … oh Gott, ich kann nicht mehr! Aber den anderen geht es wahrscheinlich auch nicht besser. Also mache ich einfach weiter, vielleicht etwas langsamer, aber immer weiter. Niemals aufhören! Das ist ganz wichtig und immer noch der schnellste Weg ins Ziel. Außerdem muss man sich vor Augen führen, dass die Zufriedenheit am Ende umso größer ist, je härter das Rennen war.
Versuchst du auch mal, dich gedanklich abzulenken, wenn’s richtig weh tut?
Nein, im Rennen bin ich nur auf den Moment fixiert. Kann ich meine Geschwindigkeit halten? Kann ich schneller fahren? Ich zähle meine Trittfrequenz, konzentriere mich auf den nächsten Anstieg, auf den nächsten Hügel, auf die nächste Versorgungsstation. Ich teile die gesamte Strecke in möglichst kleine Abschnitte und konzentriere mich voll und ganz auf mich.
Schaust du nicht auf die Konkurrenz?
Das bringt nichts. Ich fahre so schnell ich kann. Wenn es jemanden gibt, der schneller ist als ich, dann kann ich das auch nicht ändern. Du musst dein eigenes Ding machen.
Abseits der Rennstrecke hast du begonnen, den Fokus auch auf andere Sachen zu legen. Mit deiner „Gold Rusch Tour“ versuchst du, Mädchen und Frauen zum Mountainbiken zu motivieren …
Ich tue das, weil mir das Radfahren so viel gegeben hat. So viel Selbstbewusstsein, so viele schöne Momente und Orte, an denen ich gewesen bin. Das will ich nun mit anderen Menschen teilen. Und bei Frauen ist es eben so, dass sie immer einen Anstoß brauchen. Den will ich ihnen geben.
Und du selbst? Wohin treibt dich deine Lebensfreude mit Mitte vierzig?
Ich will das Radfahren noch mehr mit Abenteuer verbinden. Nächstes Jahr möchte ich den kompletten Ho-Chi-Minh Pfad mit dem Rad fahren. Das sind 800 Meilen. Mein Vater ist im Vietnamkrieg gefallen, ich will dort Eindrücke sammeln und alles vereinen, was mich in den vergangenen Jahren bewegt hat. Das ist mein nächstes Projekt. Und es ist das Schöne an diesem Sport. Es gibt einfach Millionen Sachen, die man auf seinem Rad anstellen kann …
Interview by Axel Rabenstein in SPORTaktiv (4/2013)
REBECCA RUSCH WURDE AM 25. AUGUST 1968 IN AGUADILLA (PUERTO RICO) GEBOREN. VON 1997 BIS 2006 NAHM SIE AN EXPEDITIONSRENNEN WIE „ECO CHALLENGE“ ODER „PRIME QUEST“ TEIL, BEI DENEN SICH TEAMS BIS ZU 10 TAGE LANG IN OUTDOOR-DISZIPLINEN MESSEN. ZWEIMAL GEWANN SIE DIE US-MEISTERSCHAFT IM WHITEWATER TEAM RAFTING (2001, 2002). SPÄTER WANDTE SIE SICH DEM RADFAHREN ZU. IM JAHR 2006 WURDE SIE IN IHREM ZWEITEN RENNEN ÜBERHAUPT US-MEISTERIN IM „24H SOLO MOUNTAINBIKEN“ UND HOLTE IN DEN DARAUFFOLGENDEN JAHREN DREI WM-TITEL HINTEREINANDER. VON 2009 BIS 2012 GEWANN SIE VIERMAL DAS LEGENDÄRE „LEADVILLE 100“.
Photos: Wyatt Caldwell, Steve Fassbinder, Bligh Gillies, Annemarie Hennes, Josh Letchworth, Andrew White / Red Bull Content Pool