Kleines Land. Großer Sport.

Katar ist klein. Und kommt mächtig groß raus. Das kaufkräftige Ringen um sportliche Aufmerksamkeit ist aber mehr als das Hobby eines Scheichs. Es ist auf Jahrzehnte angelegte, geopolitische Strategie.

Der Mega-Deal des Brasilianers Neymar Jr. vom FC Barcelona zum katarischen Privat-Club Paris Saint Germain ist nur der jüngste Höhepunkt eines Sturmlaufs an Investitionen. Lange Zeit relativ unbeachtet, gibt das Emirat seit einigen Jahren so richtig Vollgas, um wahrgenommen zu werden, im weiten Rund der Welt. Das kleine Land will großen Sport. Und das hat seinen Grund.

Seit dem 18. Jahrhundert befand sich Katar unter Fremdherrschaft, von Bahrein und dem Osmanischen Reich, erst 1971 erlangte man schließlich die Unabhängigkeit von Großbritannien. Im gleichen Jahr wurde mit dem Nord-Feld das größte Erdgasfeld der Welt entdeckt. Seitdem hat sich viel geändert. Zuletzt lieferte man ein Drittel des weltweiten Flüssiggases, mit einem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt von 127.659 US-Dollar pro Kopf gilt das Emirat heute als das materiell reichste Land der Welt.

 

 

Wer so im Gas schwimmt, hat Angst um seine Kohle und versucht, seinen Wohlstand zu sichern. Im Jahr 2008 wurde deshalb die „Qatar National Vision 2030“ aufgelegt: Der Wüstenstaat will die Entwicklung seiner Gesellschaft weltweit an die Spitze bringen – ein ambitioniertes Ziel.

Die Weltgesundheitsorganisation führt Katar in seiner Übergewichtsstatistik unter den Top20 aller Nationen. Chronische Krankheiten in Folge von Inaktivität zählen zu den häufigsten Todesursachen, nur 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung treiben Sport, die meisten von ihnen treffen sich zum Walken in klimatisierten Einkaufszentren.

Da passt es ins Bild, dass die Scheichs mit der Aspire Academy für mehr als eine Milliarde US-Dollar das protzigste Trainingszentrum der Welt aus dem Boden gestampft haben. Dabei geht es aber weniger um die eigene Bevölkerung, als vielmehr um den Rest der Welt.

„Internationaler Sport ist auch ein mächtiges Werkzeug für internationalen Dialog und Diplomatie“, heißt es in der zur Vision 2030 gehörenden Sportstrategie. Und dieser Satz trifft den Kern der Sache. Denn Katar macht sich Sorgen um seine nationale Sicherheit.

Umgeben von mächtigen Nachbarn wie Saudi-Arabien und Iran, die um die Vorherrschaft in der Region konkurrieren, will das kleine Emirat seine Unabhängigkeit verteidigen.

„Durch den Sport soll Kontakt mit so vielen Ländern und Menschen wie möglich aufgenommen werden“, sagt Danyel Reiche, Professor an der Amerikanischen Universität von Beirut: „Das Kalkül ist, im Falle einer Bedrohung internationale Unterstützung zu erhalten.“

 

 

Mit dem Ziel weltweiter Freundschaften vor Augen wird munter investiert: 2011 übernahm die Qatar Sports Investments (QSI) den französischen Fußball-Klub Paris Saint-Germain. Für Werbung in eigener Sache auf der stolzen Brust des FC Barcelona spendierte man von 2011 bis 2016 sagenhafte 300 Millionen Euro.

Neben dem Engagement im Vereinsfußball zielt das Emirat auf die Ausrichtung sportlicher Großereignisse im eigenen Land. Und das mit erstaunlichem Erfolg.

Nach der Schwimm-WM 2014 richtete man 2015 die Handball-WM aus, für die sich Katar gleich noch ein Söldner-Team zusammenkaufte, das bis ins Finale vordrang. Ein Jahr später fand dann die Rad-WM unter der Wüstensonne statt.

2018 stand die WM im Kunstturnen auf dem Programm, obwohl es in Katar keinen einzigen Turner von internationalem Niveau gibt. Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) vergab die WM 2019 in die katarische Hauptstadt Doha, und 2022 kommt es schließlich zum vorläufigen Höhepunkt: der ersten Fußball-WM, die im Dezember stattfindet.

Die weltweite Aufmerksamkeit ist den Scheichs damit sicher. Und das wird sie beruhigen, denn ein Streit mit den arabischen Nachbarn ist nicht weit hergeholt.

Im Juni 2017 kappten Ägypten, Bahrain und Saudi-Arabien den diplomatischen Kontakt zu Katar, erklärten alle Grenzen für geschlossen. Als Grund wurde die Unterstützung internationaler Terroristen angegeben. Katar wird eine Nähe zu Muslimbruderschaft und Hamas nachgesagt, es mag aber auch die Annährung an das schiitische Iran gewesen sein, die zum Ärger mit den sunnitischen Nachbarstaaten beigetragen hat.

Das Emirat ist isoliert. Und was macht Katar? Kauft sich Neymar.

 

 

„Die Reaktion ist ein politisches Statement“, so Simon Chadwick, Professor an der University of Salford. „Saudi-Arabien will seinen Nachbarn in die Negativ-Schlagzeilen bringen, und der produziert mal eben die Sportmeldung des Jahres. Dieser Transfer zeigt, dass Sport im 21. Jahrhundert zur Politik geworden ist.“

Katar kontert den Nachbarschaftsstreit mit einer spontanen PR-Aktion für 222 Millionen Euro plus Spesen und demonstriert damit, dass es auf genug Gas sitzt, um dauerhaft flüssig zu sein.

Das ist schon großer Sport. Der Weg des Wüstenstaates wird dennoch steinig bleiben, prophezeit Nahost-Experte Reiche: „Katar muss lernen, dass seine grundsätzlich klug durchdachte ‚soft power’ Strategie mittels des Sportsektors nur funktionieren kann, wenn es Werte wie Menschenrechte mit westlichen Ländern teilt.“

Denn neben den Schlagzeilen rund um Neymar Jr. waren es zuletzt vor allem Meldungen über zu Tode gekommene Gastarbeiter im Rahmen der Bauarbeiten für die Fußball-WM 2022, mit denen das kleine Land Katar weltweit für Aufsehen sorgte.

Report by Axel Rabenstein, published in SPORTMAGAZIN 9/2017

 

Photos: Zaha Hadid Architects; pixabay.com; Flo Hagena / Red Bull Content Pool