ERSTMALS HAT EIN EVENT DER IRONMAN-SERIE IN EINEM ZENTRALAFRIKANISCHEN LAND STATTGEFUNDEN: AXEL RABENSTEIN IST NACH RWANDA GEREIST UND BERICHTET VON EINEM WETTKAMPF, DEN NICHT WENIGE ALS STARTSCHUSS SEHEN – FÜR DIE ZUKUNFT DES AFRIKANISCHEN TRIATHLONS.

 

Viermal so groß wie der Bodensee und fast 500 Meter tief, für afrikanische Verhältnisse dennoch ein eher durchschnittlich großes Gewässer: Glatt und beinahe unscheinbar liegt der Kivusee vor einem grauen Horizont am Ufer des Städtchens Gisenyi im rwandischen Distrikt Rubavu. Zwei Kilometer weiter erheben sich die Häuser der kongolesischen Millionenstadt Goma, im Hintergrund ist die Silhouette des 3.470 Meter hohen Nyiragongo zu erahnen, eines der aktivsten Vulkane der Erde. Es ist eine besondere Kulisse hier in Rwanda – für den ersten Ironman in Zentralafrika.

Für viele mag das Stichwort „Rwanda“ noch immer mit einem Schreckensereignis assoziiert werden: Von April bis Juli 1994 gehen Angehörige der Hutu-Mehrheit auf die Minderheit der Tutsi los. 100 Tage dauerte der Völkermord, der rund 800.000 Todesopfer forderte.

Jetzt – knapp 30 Jahre später – also ein „Ironman“ in Rwanda? Das lässt aufmerken. Und doch ist es weniger überraschend, als es uns Europäern auf den ersten Eindruck erscheinen mag.

Seit dem Jahr 2000 wird Rwanda von Präsident Paul Kagame regiert. Sein Führungsstil wird international zwar als „autokratisch“ kritisiert, freie Wahlen und Pressefreiheit seien nicht garantiert; aber Kagame hat Rwanda nach dem Genozid geeint und zu einem der sichersten Länder Afrikas gemacht. Die Wirtschaft wächst konstant, die Teilhabe von Frauen an der politischen Macht ist überdurchschnittlich hoch. Und so hat die World Triathlon Corporation das kleine Rwanda als viertes afrikanisches Land nach Südafrika, Ägypten und Marokko als Austragungsort eines Rennens ihrer weltweiten Ironman-Serie auserkoren.

Dass dabei mit eigenen Herausforderungen umzugehen ist, zeigt sich, als wenige Tage vor dem Start, die Radstrecke geändert werden muss. „Ursprünglich war geplant, den Kurs über die RN4 zu führen“, sagt Renndirektor Werner Smit: „Es kamen allerdings Bedenken auf, diese Verkehrsader für die Dauer des Wettkampfs zu sperren, die RN4 verbindet die Millionenstadt Goma mit Rwanda und Kigali.“

Smit ist Teil eines Teams von Ironman South Africa, das diesen ersten Wettkampf in Rwanda federführend betreut. Es habe den Vorschlag gegeben, „die Straße einspurig zu nutzen und dies mit hunderten von Polizisten abzusichern“, so Smit: „Die Sicherheit der Athleten auf nur einer Spur der steilen Straße zu gewährleisten, wäre aber nicht möglich gewesen.“

Man muss sich vorstellen: Die RN4 führt von der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo über einen Berg mit Steigungen von 10 % in die grünen Hügel des Volcanoe-Nationalparks. Malerisch schön. Der Verkehr setzt sich allerdings aus schnaufenden Lastwagen, couragierten Pkw-Lenkern und Fahrradfahrern zusammen, die schon mal mit zwei Kartoffelsäcken beladen den Berg hinabrauschen und mit am Vorderreifen aufgesetztem Flip-Flop bremsen. Dazwischen Frauen mit meterlangen Bambusstäben auf dem Kopf, spielende Kinder, käuende Ziegen.

Eine Straße wie diese nur halb zu sperren, war keine Option. „Deshalb haben wir die Radstrecke kurzfristig über vier Runden auf die Uferstraße des Lake Kivu verlegt“, so Renndirektor Smit.

Die Nacht über hat es geregnet, es hat angenehme 20 Grad. Am Morgen des 14. August steht ein bunt gemischtes Teilnehmerfeld aus 37 Nationen bereit: der Italiener Filippo, der darauf abzielt, sich hier in Afrika einen von 45 Slots für die WM 2023 im finnischen Lahti zu sichern; der radbegeisterte Belgier Thibault, der im Jahr 2010 in Rwanda die Brauerei Skol gegründet hat und beim ersten Ironman in seiner Wahlheimat natürlich mit von der Partie ist; der deutsche Globetrotter Fritz, der seit 8.000 Kilometer von Kapstadt bis Kivu im Sattel sitzt und mit Tourenbike an den Start geht; der freundliche Ted aus Kenia, der eigenen Angaben zufolge den Halbmarathon in 1:14 h läuft, beim Einschwimmen allerdings die Brille verkehrt herum auf den Kopf setzt; der Berichterstatter dieser Geschichte mit vor Ort gemietetem Bike, dessen Rahmen mit Klebeband geflickt ist; und schließlich die einheimischen Athleten, denen man eine Gratisteilnahme ermöglicht hat, weil eine Startgebühr von knapp 300 US-Dollar für sie nicht leistbar gewesen wäre.

Es sind die unterschiedlichsten Beweggründe, hier in Rwanda dabei zu sein. Und daraus ergibt sich ein spürbar einzigartiger Spirit: Selten hat man so viele persönliche Gespräche, so viele aufrichtige Ermunterungen und so viele neu entstandene Freundschaften unter den Teilnehmern eines Triathlons erlebt.

Laut Ergebnisliste gehen 155 Einzelstarter ins Rennen, von denen 107 das Ziel erreichen. Der Austragungsort Gisenyi liegt 180 Kilometer südlich des Äquator auf einer Höhe von 1.481 Meter über dem Meer. Bei einigen Athleten stellt sich schon beim Schwimmen über 1,9 Kilometer im 23 Grad warmen Kivusee eine ungewohnte Kurzatmigkeit ein; spätestens auf der Radstrecke, bei der sich auf 90 Kilometer über zahlreiche Anstiege rund 1.200 Höhenmeter kumulieren, kommen viele Athleten an ihr Limit.

Dabei schweift der Blick immer wieder über die grünen Hügel der Umgebung. In einem Dorf stehen hunderte Einheimische zwischen im Hang verteilten Hütten und erinnern einen daran, wo man sich hier befindet: mittendrin im ruralen Afrika.

Der abschließende Halbmarathon führt in Richtung Grande Barrière, dem Grenzübergang zur Demokratischen Republik Kongo, biegt dann von der Uferstraße ab und zieht sich 2,5 Kilometer bis zum Wendepunkt kontinuierlich bergauf. Dreimal ist dieser Anstieg zu bewältigen – über die 21,1 Kilometer summieren sich rund 300 Höhenmeter. Die Sonne steht inzwischen hoch. Es ist ein harter Kurs, die Zufriedenheit im Ziel ist dann aber umso größer. Hunderte einheimische Zuschauer bejubeln die Finisher.

Bei den Frauen gewinnt die in Kenia lebende Niederländerin Berber Kramer (5:08 h), die sich im Juni beim viertägigen „Migration Gravel Race“ durch die Massai Mara die nötige Rennhärte geholt hat. Bei den Männern siegt Ilya Slepov (4:25 h) aus Russland, der sich darüber freut nun „mit Ausnahme der Antarktis“ auf allen Kontinenten einen Triathlon bestritten zu haben.

Schnellster afrikanischer Athlet auf Platz 6 ist der 27-jährige Rwander Samuel Tuyisenge, der erst vor wenigen Jahren das Schwimmen erlernt und heute seine erste Halbdistanz absolviert hat. „Wir wünschen uns besseres Equipment und mehr Unterstützung von Sponsoren“, sagt er. „Wir sind Tag für Tag damit beschäftigt, uns und unsere Familien zu versorgen. Auf den Sport und das Training können wir uns nicht wirklich konzentrieren.“

Als Sieger ihrer Altersklasse haben sich die beiden hochtalentierten rwandischen Triathleten Samuel Tuyisenge und Heritier Ishimwe einen Startplatz für die Ironman 70.3 WM in Lahti 2023 gesichert. Ob sie dort auch antreten können, ist allerdings alles andere als sicher.

Beide sind Mitglied im Triathlon Club Kibuye (CSK), den der Luxemburger Jean-Pierre Ernzen ins Leben gerufen hat. Ernzen, einst Top10-Finisher beim Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB), hat 11 Rennräder nach Rwanda geschafft und organisiert das Training einer Handvoll junger Athleten. „Die Hürden sind hoch“, sagt er im Gespräch: „Dreimal in der Woche lernen unsere Jungs und Mädchen Englisch, nur so könnten sie überhaupt ein Race Briefing bei einem Rennen im Ausland verfolgen. Für Samuel und Heritier müssen wir jetzt erst einmal Wetsuits besorgen, damit sie in Lahti bei 18 Grad Wassertemperatur schwimmen können.“

Hinzukommen Reisekosten, Betreuung, Visa und die erhoffte Genehmigung, aus Rwanda ausreisen zu dürfen. Nicht selten treffen die Behörden hierzulande ihre eigenwilligen Entscheidungen.

Wie es auch kommen mag: Der IM 70.3 Rubavu ist ein großer Schritt für die regionale Ausdauersportszene. „Für uns war es eine wichtige Gelegenheit, den verantwortlichen Stellen zu zeigen, dass unser Training zu zählbaren Ergebnissen führt“, sagt Jean-Pierre Ernzen.

Drei Jahre läuft die Ironman-Lizenz, die der umtriebige kongolesische Geschäftsmann Serge Pereira spendiert hat, um sich in Rwanda neue Geschäftswege zu erschließen. Rwandas Sportministerin Aurore Mimosa Munyangaju blickt erwartungsfroh nach vorne. „Was für eine besondere Erfahrung für unser Land“, sagt sie: „Wir haben viel gelernt und freuen uns darauf, in 2023 noch mehr Athleten bei uns begrüßen zu dürfen.“

Für die Zukunft könne man sich vorstellen, eine Triathlon-Langdistanz am Kivusee zu realisieren. Einige internationale MTB-Events wie das „Race around Rwanda“ oder auch das „Rwandan Epic“ finden bereits seit einigen Jahren hierzulande statt. Und 2025 kommt sogar die UCI Straßenrad-WM nach Rwanda. Der Pulsschlag der afrikanischen Wettbewerbsszene dürfte sich also weiter erhöhen.

Reported by Axel Rabenstein, published in FIT for LIFE 10/2022

 

RWANDA HAT 13 MILLIONEN EINWOHNER UND GRENZT AN DIE DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO (DRC) SOWIE UGANDA, TANZANIA UND BURUNDI. DAS „LAND DER 1000 HÜGEL“ IST DICHT BEWACHSEN UND FRUCHTBAR, IM VOLCANOE NATIONAL PARK LEBEN BERGGORILLAS, DIE IM RAHMEN ORGANISIERTER SAFARIS BEOBACHTET WERDEN KÖNNEN.

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Photos:  Sportograf; IRONMAN 70.3 Rwanda