ER FUHR MIT SKI VOM MOUNT EVEREST AB. SPÄTER ZOG ES IHN IN DEN DSCHUNGEL NACH PAPUA. WAS ER AUCH TAT: HANS KAMMERLANDER SUCHTE IMMER DAS ABENTEUER. UND WAR FROH, DASS DAS GLÜCK IHN STETS BEGLEITETE.

 

Hans, Sie tragen eine Kette mit Steinen um den Hals. Ist das Ihr Glücksbringer?

Das ist ein Xi-Stein, den hat mir Reinhold Messner zu meinem ersten Achttausender geschenkt. Dann hängen da noch zwei Gipfelsteine vom Mount Everest und vom K2. Die Kette trage ich immer, ohne die mache ich keinen Schritt. Ich denke schon, dass sie mir Glück bringt …

… was Sie als Extrembergsteiger auch gut gebrauchen können: Schließlich begeben Sie sich mit absoluter Regelmäßigkeit in lebensbedrohliche Situationen. Viele Ihrer Kollegen sind bereits tödlich verunglückt.

Etwa die Hälfte aller Top-Bergsteiger lässt ihr Leben in den Bergen. Fünfzig Prozent der tödlichen Unfälle würde ich darauf zurückführen, dass ein Fehler begangen wurde. Die anderen fünfzig Prozent sind meiner Meinung nach das Restrisiko. Ob ein Stein einen halben Meter am Kopf vorbei fliegt oder ob du das Pech hast, dass er dich trifft – das kann man nicht beeinflussen. Das ist nicht vorherzusehen. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich in meinem Leben über Gletscherspalten gelaufen bin, die ich nicht gesehen habe. Ein falscher Tritt, die Spalte wäre gebrochen und ich in die Tiefe gestürzt. Für diese unsichtbaren Risiken, da braucht’s eben Glück.

»Im Leben braucht man generell eine Menge Glück. Im Tal wie auf dem Berg.«

Hans Kammerlander

Das Glück spielt eine tragende Rolle, trotzdem ist dieser Faktor nicht zu greifen. Kann man es Schicksal nennen?

Unfälle passieren … und wenn’s vorbei ist, dann ist’s vorbei. Das muss man einfach so hinnehmen. Ob das zum Zeitpunkt meiner Geburt schon vorbestimmt ist, will ich mal dahingestellt lassen. Aber im Leben braucht man generell eine Menge Glück. Im Tal wie auf dem Berg.

Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie besonders viel Glück hatten?

Ich würde mal sagen, es waren mindestens zwanzig Situationen, in denen wirklich das hundertprozentige Glück auf meiner Seite war. Am Ortler bin ich nur knapp einer Lawine entgangen, weil ich drei oder vier Sekunden vor einem Bergführerkollegen ging, der dann in der Lawine umkam. Oder ich saß gemütlich auf einer Raststelle, habe mich wieder auf den Weg gemacht und wenige Augenblicke später schlagen genau dort die Steine ein. Solche Situationen habe ich oft erlebt.

Was denkt man sich dann?

Glück gehabt! Ich nehme es als speziellen Punkt in meinem Leben zur Kenntnis und blicke weiter nach vorne. Knapp gefehlt, ist auch vorbei …

 

 

Das Glück kann nicht nur als Lebensretter, sondern auch als Gefühl in Erscheinung treten. Wie erleben Sie das nach einer erfolgreichen Besteigung?

Nach einer Expedition spüre ich eine enorme Erleichterung. Die Anspannung fällt ab, wenn man alles gut überstanden hat und wieder unten ist.

Und auf dem Gipfel?

Ist erst die Hälfte des Weges geschafft.

Kann man den Glücksmoment dort oben trotzdem beschreiben?

Vielleicht bin ich dafür nicht sensibel genug, das mag eine Art Selbstschutz sein. Wenn ich ein Tief erlebe, kann ich damit relativ gut umgehen. Wenn ich eine Niederlage erleben muss, laufe ich nicht weinend durch die Prärie. Ich verkrieche mich nicht in ein Loch. Auch Schmerzen kann ich sehr gut ertragen. Das alles lasse ich nicht an mich ran. Aber genauso mache ich wegen einer positiven Kleinigkeit nicht gleich einen Purzelbaum oder schreie vor Glück. Ich begebe mich in extreme Situationen, die ich emotional neutral verarbeite. Deshalb muss ich zugeben, dass es mir wirklich schwerfällt, ein Glücksgefühl zu beschreiben.

 

 

Für viele Hobbysportler sind solche positiven Gefühle auf dem Gipfel der Grund für ihre Unternehmungen. Das Problem ist nur: Einerseits suchen immer mehr Menschen die Einsamkeit der alpinen Natur. Auf der anderen Seite zerstören sie genau diese Wildnis, indem sie in die Berge strömen. Was ist also zu tun? Wie verhalte ich mich richtig?

Die bekannten Gipfel ziehen an. Deshalb würde ich jedem empfehlen, einfach andere Gipfel anzupeilen. Dort ist das Bergerlebnis viel größer. Die Namen der höchsten Berge haben ihren besonderen Klang und viele Menschen wollen von solchen Gipfeln erzählen. Wer es aber nicht für die anderen, sondern für sich selbst tut … der wird die schönere Bergwelt erfahren.

Kann ich hierzulande überhaupt noch unberührte Natur finden? Oder muss ich mir meine Ziele dazu im Himalaya suchen?

In den Alpen gibt es noch eine ganze Menge unbekannter Gipfel. Ohne Geschrei und ohne Theater.

Sie sind vor dem Rummel rund um die höchsten Berge bereits geflohen. Derzeit besteigen Sie die so genannten „Seven Second Summits“ – die zweithöchsten Berge der sieben Kontinente …

Die höchsten Gipfel sind total überlaufen, das sind Katalog-Berge. So was brauche ich nicht mehr. Schau’ dir den Mount Everest an, da pilgern Ströme von Touristen durch die Gegend und lassen sich hochtragen. Aber wenn der K2 vor dir steht, dann weißt du, was dich erwartet. Den K2 kann man nicht kaufen.

Die zweithöchsten Gipfel sind also die wahren Herausforderungen?

Kann man so sagen. Der Elbrus im Kaukasus ist der höchste Berg Europas, aber nicht besonders schwer. Der zweithöchste dagegen, der Dychtau, der hat es wirklich in sich. Man darf generell nicht den Fehler machen, die russischen Berge zu unterschätzen, die sind anspruchsvoll, eine Mischung aus Alpen und Himalaya.

Was hat Sie an den anderen zweithöchsten Bergen beeindruckt?

Der Ojos de Salado in den südamerikanischen Anden ist von der Atacama-Wüste umgeben. Dort habe ich ein Licht erlebt, das mich einfach umgehauen hat. Und der Mount Logan in Alaska ist ein Riesengletscher, der dir alles abverlangt. Auf dem höheren Mount McKinley dagegen sieht man überall ausgetretene Spuren. Da sind mir mal Leute mit Tourenski entgegen gekommen, die so verkrampft gelaufen sind. Dann ist mir aufgefallen, dass sie vergessen hatten, die Bindung auf ‚Gehen’ zu stellen. Das muss man sich mal vorstellen, die laufen auf den höchsten Berg Nordamerikas und wissen nicht einmal wie ihre Bindung funktioniert. Solches Volk trifft man auf den Zweithöchsten wirklich nicht.

 

 

Nun sind Sie gerade von einer ganz besonderen Expedition zurückgekommen. Im Dschungel von Papua haben Sie den Puncak Trikora bestiegen, mit 4.750 Metern der zweithöchste Berg Ozeaniens …

Das war wirklich mal was anderes. Wir sind sechs Tage durch den Wald gelaufen, gemeinsam mit unseren Begleitern, Ureinwohnern, die uns den Weg gezeigt haben. Die Naturverbundenheit dieser Menschen hat mich sehr beeindruckt. Manchmal haben wir sie stundenlang nicht gesehen, die waren eins mit dem Dschungel, aber sobald wir vor einem Flusslauf oder einem Sumpfgebiet standen und nicht weiter wussten, waren sie wieder an unserer Seite.

Konnten Sie sich mit den Ureinwohnern verständigen?

Kaum, in dieser Gegend gibt es mehr als tausend verschiedene Dialekte, und ich kann leider keinen davon. Aber es kam trotzdem zu faszinierenden Situationen. Es hat sehr viel geregnet, deshalb haben wir uns abends ein Zelt aufgestellt. Nur für uns natürlich, die Ureinwohner halten sich auch nachts im Freien auf. Ich habe einen Ast in Stücke gebrochen, um damit die Ecken des Zeltes am Boden zu fixieren. Einer der Begleiter hat mich dabei beobachtet, auf einmal kommt er zu mir und tritt barfuß das spitze, frisch gebrochene Holz in den Boden. Da dachte ich mir: Ja spinn’ ich… wo bin ich denn hier?

Und nach der Dschungeltour? Wie war der Aufstieg auf den Berg?

Das war reine Routine, nicht mehr als eine Tagestour. Bei diesem Gipfel ging es wirklich nur um die Anreise. Ich muss nicht jedes Jahr nach Papua. Aber einmal durch diesen Urwald zu streifen, das war ein wunderbares Erlebnis, genauso wie ich mir diese sieben Kontinente vorgestellt habe. Ich wollte möglichst viele Gesichter der Erde sehen. Ich hätte viel versäumt, wenn ich es nicht getan hätte. Und nun bin ich froh, dass ich mit dem Mount Tyree in der Antarktis noch einen dieser zweithöchsten Berge vor mir habe …

Interview by Axel Rabenstein, published in TOPTIMES 4/2011

 

HANS KAMMERLANDER WURDE AM 6. DEZEMBER 1956 IN AHORNACH (SÜDTIROL) GEBOREN. GEMEINSAM MIT REINHOLD MESSNER GELANG IHM 1984 AN GASHERBRUM II (8.034 M) UND HIDDEN PEAK (8.080 M) DIE ERSTE DOPPELÜBERSCHREITUNG ZWEIER ACHTTAUSENDER. IM JAHR 1990 REALISIERTE ER ALS ERSTER MENSCH EINE SKIABFAHRT VOM GIPFEL DES NANGA PARBAT (8.125 M). ZUDEM HIELT ER VON 1996 BIS 2006 DEN REKORD FÜR DIE SCHNELLSTE BESTEIGUNG DES MOUNT EVEREST (8.848 M), VON DEM ER EBENFALLS MIT SKIERN ABFUHR.

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Photos: Hans Kammerlander