IM 3.000-METER-HINDERNIS-LAUF ZÄHLT GESA FELICITAS KRAUSE ZU DEN BESTEN DER WELT. IM INTERVIEW SPRICHT SIE ÜBER IHRE LIEBE ZUR ANSTRENGUNG, ÜBER DIE MAGIE DES EIGENEN LIMITS UND DIE EIGENSCHAFTEN EINER STARKEN FRAU.

 

Gesa, warst du heute schon laufen?

Ja, in der Tat! Gleich in der Früh nach einem Kaffee habe ich mich in meine Laufsachen geworfen und war 15 Kilometer auf dem Laufband, mit Blick nach draußen. Die Nacht war frostig, alles war vereist und hat in der Morgensonne gefunkelt. Danach gab’s dann in aller Ruhe Frühstück.

Hört sich nach einem perfekten Start in den Tag an!

Für mich definitiv. Wenn man morgens sein Training absolviert und etwas geschafft hat, macht das besonders zufrieden. Der Körper schüttet Endorphine aus. Außerdem lief’s einfach, ich war flott unterwegs und habe mich gut gefühlt.

Was bedeutet „flott unterwegs“?

Das war in diesem Fall ein 4:08er Schnitt. Nicht überragend schnell, aber ich habe gespürt, warum ich so gerne laufe.

Nämlich?

Das Schöne am Laufen ist, dass es so schön einfach ist. Du brauchst ein Paar gute Schuhe, bequeme Kleidung und los geht’s. Vollkommen egal, wo auf dieser Welt du dich gerade befindest. Laufen ist für mich die pure Freiheit.

Nimmt einem das berufliche Laufen nicht die Freiheit?

Ich liebe, was ich tue. Laufen erfüllt mich, und ich mache meinen Job unheimlich gerne. Natürlich ist eine gewisse Verpflichtung dabei. Aber das ist in jedem Beruf so.

Was treibt dich voran?

Ich will herausfinden, wo meine Grenzen sind. Was ich auf natürliche Weise zu leisten in der Lage bin, mit meinem Körper und meinem Geist. In diesem Jahr treibt mich zudem der Ausblick auf die Olympischen Spiele in Tokio an. Dort will ich über die 3.000 Meter Hindernis im Finale stehen und mich mit den Besten der Welt messen.

Dein Ziel ist eine Medaille in einer gnadenlos guten Konkurrenz. Was musst du bis Tokio tun, um dafür bereit zu sein?

Es ist ein Full-Time-Job ohne Wochenende. Hartes und kontinuierliches Training, ich laufe zwischen 75 und 180 Kilometer in der Woche. Dafür brauche ich perfektes Lauf-Equipment. Vorbereitende Wettkämpfe. Effektives Regenerieren mit viel Schlaf und durchdachter Ernährung. Professionelles Verhalten, ohne dabei die Lockerheit zu verlieren. Perfektionierte Details ergeben das große Ganze. Das Spannende daran ist, dass es keine klaren Regeln gibt. Du selbst musst für dich herausfinden, was das richtige Maß, die richtige Intensität ist. Und genau deshalb ist Laufen für mich die Sportart, in der ich meine Passion und meine Profession ausleben darf.

»Ich habe einen Traum, ich habe ein Ziel, ich habe eine Vision: Darauf laufe ich unbeirrbar zu.«

Gesa Krause

Wie wichtig ist im entscheidenden Rennen der Kopf?

Essenziell. Deine Leistungsfähigkeit ist die Basis. Nun musst du sie abrufen, und dafür musst du am Start wissen, dass du alles dafür getan hast, um in bestmöglicher Verfassung zu sein. Von diesem Bewusstsein geht eine besondere Kraft aus, die man mit auf die Strecke nehmen kann.

Und wenn’s ein vierter Platz mit neuer Bestzeit wird?

Dann werde ich es so akzeptieren. Ich versuche einfach, meinen Weg mit Freude zu gehen. Ich habe einen Traum, ich habe ein Ziel, und ich habe eine Vision. Darauf laufe ich unbeirrbar zu.

Wäre ein Wettkampf ohne die kenianische Konkurrenz auch mal schön?

Warum?

Weil sie kaum zu schlagen sind?

Die Kenianerinnen sind schnell. 2017 wurde allerdings eine US-Amerikanerin Weltmeisterin. Und bei den Spielen in London 2012 hat eine Tunesierin Gold geholt. Ich bin schon immer der Meinung gewesen, dass auch die Kenianerinnen schlagbar sind. Man darf sich nicht abschrecken lassen, sondern muss die Herausforderung annehmen. Niemand hat vor dem Start gewonnen. Jeder im Rennen hat seine Chance.

Gab es für dich einen Schlüsselmoment für dieses Selbstverständnis?

Mein Vater sagte zu mir, Afrikaner wären beim Laufen nicht zu schlagen. Ich sagte ihm, dass sie auch nur Menschen seien, die mit zwei Beinen so schnell rennen wie sie können. Bei der Jugend-WM 2010 wurde ich Vierte und war ganz nah dran an den drei erstplatzierten Kenianerinnen. Für mich war das ein wichtiger Tag. Weil ich gespürt habe, dass ich sie kriegen kann.

Und du hast sie gekriegt: Bei den Weltmeisterschaften 2015 und 2019 hast du vor einigen Afrikanerinnen jeweils Bronze gewonnen. Was ist, neben Titeln und Erfolgen, das Ziel deiner Karriere?

Ich habe 2011 meine erste WM bei den Erwachsenen absolviert und war seitdem eigentlich jedes Jahr in einem WM- oder EM-Finale. Ich habe zwei WM-Medaillen, zwei EM-Titel. Diese Beständigkeit möchte ich weiterführen. Ich habe den Sport mit meiner Leidenschaft begonnen. Und ich möchte ihn so lange betreiben, wie es in mir brennt – so lange, wie mir das Laufen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Gibt’s auf 3.000 Meter viel zu lächeln?

Es kostet Kraft und Energie, aber es ist so cool! Mit dem, was ich tue, möchte ich andere dazu inspirieren, ungewöhnliche Wege zu gehen. An sich zu glauben und ihr Ding durchzuziehen. Außerdem sind Sport und Bewegung unglaublich wichtig für eine gesunde und glückliche Gesellschaft. Dazu will ich meinen kleinen Beitrag leisten.

Gehen wir mal an den Start: Vor dir liegen harte 3.000 Meter. Wie fühlt sich das an?

Mir hat die Situation schon Angst gemacht, zu wissen, dass ich mich gleich komplett verausgaben werde. Bin ich allerdings topfit und mental stark, dann finde ich es einfach nur geil, dass ich so schnell und lange laufen werde, bis ich nicht mehr kann. Das Gefühl, alles gegeben zu haben, ist genial. Das sollte man allerdings in sich haben. Sonst ist man für diesen Sport wahrscheinlich nicht gemacht.

Auf deiner Paradedisziplin über die 3.000 Meter Hindernis steht auch noch alle 80 Meter eine Hürde im Weg. Stresst das zusätzlich?

Eher nicht. Die 3.000 Meter ohne Hindernis sind in meinem Empfinden vom Lauftempo her noch etwas unkomfortabler. Die Hindernisse sind meine Freunde. Ich habe eine gute Technik, bin auf das Hindernis fokussiert und versuche, es so effizient wie möglich zu überwinden. Für mich macht es die ganze Sache in erster Linie kurzweiliger.

Hast du das Gefühl wie in einem Cockpit zu sitzen und deinen Körper zu steuern? Oder seid ihr eine Einheit?

Es gibt Wettkämpfe, in denen man jeden Schritt spürt und sich quälen muss. Aber je besser die Form, desto mehr kommt man in einen Flow und fühlt sich als Einheit.

Wie pusht du dich noch einmal, wenn du schon am Limit bist?

Beim Schlussspurt kann und muss ich mich nicht mehr pushen. Da bin ich wirklich am Anschlag. Ich habe keine Gedanken, keine Bilder mehr im Kopf. Schwieriger ist es in der Mitte des Rennens bei etwa 1.500 Metern. Dort im Tunnel zu bleiben, die Vision eines guten Laufes zu behalten und alles andere auszublenden, kann wirklich anspruchsvoll sein. Aber auf der Zielgeraden spüre ich nur noch meinen unbändigen Siegeswillen.

Kann man diesen Siegeswillen wie einen Muskel trainieren? Oder muss man es in sich haben?

Es ist wohl eine Mischung. Wenn man seine eigene Leistungsfähigkeit spürt, diese ganz besondere Power, dann nährt das den Siegeswillen. Ich denke aber, dass dieser Wille ein Teil der Persönlichkeit ist. Schon als Mädchen habe ich bei Wettrennen den Punkt der Erschöpfung viel weniger intensiv wahrgenommen als andere. Weil ich einfach gewinnen wollte.

Und dann überstimmst du das aufkommende Schwächegefühl deines Körpers?

Schwer zu sagen, wie das genau funktioniert. Ich gestatte mir eben nicht, einzuknicken. So lasse ich meinem Körper freien Lauf. Derzeit bin ich an einem Punkt, an dem es mir keine Angst macht, sondern mich herausfordert: zu sehen, zu was ich in der Lage bin. Und das finde ich wirklich magisch!  Ich will wissen, wo meine Grenzen sind. Ans Limit gehen. Oder auch darüber hinaus. In diesen Situationen lernt man sich sehr genau kennen.

Wie erlebst du dein Limit? Ist das ein Ort? Ein Gefühl?

Meine besten Leistungen habe ich erbracht, wenn ich zu 100 Prozent bei mir war. Äußere Einflüsse werden ausgeblendet. War es kalt oder warm? Hat die Sonne geblendet? Keine Ahnung. Ich bin alleine mit meinem Siegeswillen, mit dem Schmerz, mit meinen Mantras, wenn ich auf mich einrede, dass ich es schaffen werde. Mein Limit fühl sich an wie ein reiner Moment, von dem ich voll und ganz vereinnahmt bin.

Was war der anstrengendste Moment deiner Karriere?

Im Jahr 2018 habe ich zu viel trainiert. Ich fühlte mich ausgebrannt, in den Wettkämpfen zeigte sich, dass ich überdreht hatte. Das war keine schöne Erkenntnis.

Und dennoch bist du 2018 Europameisterin über 3.000 Meter Hindernis geworden?

Ja, und ich bin stolz darauf, alles zum Guten gewendet zu haben. Aber es waren kraftraubende Momente. Die Strapazen aus diesem Jahr haben bis in die Vorbereitung für 2019 angehalten. Und das nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, weil ich trotz aller Widrigkeiten an mich geglaubt habe. Die mentale Komponente wird häufig unterschätzt. Unseren Körper können wir trainieren. Wir können seine Fitness anhand zahlreicher Parameter bestimmen. Was sich aber im Kopf abspielt, das ist wie eine eigene Disziplin.

Hast du das Gefühl, auf viel verzichten zu müssen?

Nein. Mein Sport ist eine Lebenseinstellung. Und meine Entbehrungen sind keinesfalls größer als die besonderen Momente, mit denen ich für meinen Lebensstil belohnt werde. Zum Ende einer Saison genieße ich es durchaus, mal ein wenig in den Tag hineinzuleben. Aber nach ein paar Wochen freue ich mich darauf, wenn wieder Struktur und Disziplin in meinen Alltag einkehren.

Was hast du vom Sport fürs Leben gelernt?

Dass es wichtig ist, eine eigene Vorstellung vom Leben zu haben, von dem, was man möchte. Dass man mutig ist und seine Ziele unerschrocken verfolgt.

Gilt das im Besonderen für Frauen? Ein wenig mutiger zu sein?

Vorsicht, ich bin Feministin.

Dann leg mal los …

Ich denke, dass Frauen sehr starke Individuen sind. Wir verfügen über viel Konsequenz und eine hohe Zielstrebigkeit. Mich inspiriert es, wenn Frauen mit Freude ihre Ziele verfolgen und sich von niemandem unterkriegen lassen.

Sind Frauen stärker als Männer?

Wir Frauen haben Stärken, in denen wir vielen Männern überlegen sind. Man kann das vielleicht nicht in Muskelkraft messen. Aber man kann es spüren.

Interview by Axel Rabenstein, for PUMA

 

GESA FELICITAS KRAUSE WURDE AM 3. AUGUST 1992 IN EHRINGSHAUSEN (HESSEN) GEBOREN. IHRE SPEZIAL-DISZIPLIN IST DER 3.000-METER-HINDERNISLAUF. 2016 UND 2018 WURDE SIE EUROPAMEISTERIN, BEI DEN WELTMEISTERSCHAFTEN IN PEKING (2015) UND DOHA (2019) HOLTE SIE JEWEILS BRONZE.

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Photos: PUMA