EMELIE FORSBERG IST WELT- UND EUROPAMEISTERIN IM SKYRUNNING. IHR GRÖSSTER ERFOLG ABER IST, DASS SIE SO VIELE MENSCHEN MIT IHRER LEBENSFREUDE INSPIRIERT.
Emelie, du bist an der schwedischen Ostküste aufgewachsen. Die Landschaft dort ist von Wäldern und Hügeln geprägt. Wie ist deine Liebe zu den Bergen entstanden?
Als ich vierzehn Jahre alt war, habe ich mit dem Klettern begonnen. Dabei habe ich mich wohl in die Berge verliebt, dort fühle ich mich lebendig. Mit 18 Jahren bin ich dann in die Berge gezogen. Ich war schon immer sehr neugierig, wollte andauernd etwas Neues entdecken. Berge sind sehr gegenständlich und greifbar. Sie sind der Ort, an dem ich die größte Freiheit verspüre.
Stimmt es, dass du in Wettkämpfen immer mit einer Blume in den Haaren läufst?
Ja, das ist richtig. Manchmal ist es eine echte, dann wieder eine, die ich mir aus Stoffresten bastle. Ich bin sieben Jahre Stunde um Stunde durch die Berge gelaufen, ohne an einem Wettkampf teilzunehmen, damit habe ich ja erst später begonnen. Ich war immer dort draußen, weil ich es wollte. Die Blume erinnert mich daran, warum ich das tue: weil es meine Leidenschaft und mein Leben ist. Es geht nicht primär um die Rennen. Sie sind eine großartige Chance, besonderes zu erreichen. Aber es ist viel mehr als das. Ich habe Ökologie studiert und interessiere mich für die Natur. Ich denke, dass alles auf irgendeine Weise miteinander verbunden ist und zusammengehört. In den Bergen lässt sich das besonders gut beobachten.
»Dort draußen gibt es so viel zu sehen.«
Emelie Forsberg
Kannst du einen perfekten Tag in den Bergen beschreiben?
Es sollte ein langer Tag sein, mit einer Kombination aus Laufen und Klettern. Ich bewege mich gerne mit Händen und Füßen gleichzeitig, dabei bin ich extrem fokussiert auf die Umgebung, die sich direkt vor mir befindet. Daraus entstehen besonders echte, wirkliche Momente. Wenn ich mich auf diese Weise stundenlang durch die Natur bewege, dann ist das ein perfekter Tag für mich.
Genießt du die Zeit in den Bergen auch während anstrengender Läufe, wenn du an deine physischen Grenzen gehst?
Und wie! Mein Training verläuft ohnehin in einer sehr entspannten Geschwindigkeit. Für andere mag das schnell sein, aber für mich fühlt es sich gemächlich an. Ich sehe mich um und lasse den Blick schweifen. Wenn du dich beim Laufen auf Trails sicher fühlst, musst du nicht immer auf deine Füße sehen. Dort draußen gibt es so viel zu sehen!
Du bist in Härnösand groß geworden, einer Kleinstadt mit gerade mal 17.000 Einwohnern, die mehrere Olympiasieger hervorgebracht hat. Nils Bolin, der Erfinder des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes kommt aus Härnösand. Auch der Komponist Henning Mankell, Großvater des gleichnamigen Schriftstellers. Hat dieser Ort eine besondere Wirkung auf Talente?
Ich denke, dass die Natur in dieser Region schon sehr faszinierend ist. Die Wälder, die Hügel, die Küste – es ist eine beeindruckende Weitläufigkeit, in der es viel zu entdecken gibt. Ich habe hier als Kind immer eine besondere Neugier verspürt. Und diese Neugier kannst du vielleicht mitnehmen, um sie für das einzusetzen, was dich begeistert und interessiert.
Eine deiner Entdeckungstouren hat dich im Alter von 22 Jahren auf einen 50 Kilometer langen Lauf durch die Berge geführt. Das ist bekannt, weil du direkt im Anschluss an deinem ersten Bergrennen teilgenommen und das auch noch gewonnen hast. Stimmt das?
Ja, das ist richtig. Zu der Zeit habe ich in Norwegen gearbeitet. An diesem Tag bin ich eine wundervolle Strecke gelaufen, eine ganze Bergkette entlang. Ich konnte und wollte einfach nicht aufhören, weil es so schön war. Als ich zurückkam, traf ich ein paar Freunde, die gerade zu einem Bergrennen unterwegs waren. Ich habe mich angeschlossen und das Rennen zufällig gewonnen.
War das der Beginn deiner Laufkarriere?
Das nicht, aber es war auf jeden Fall mein erstes Rennen.
… nach dem klar war, dass großes Talent in dir schlummert.
Das schon, aber darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Die Rennen waren nie ein zentraler Lebensinhalt für mich. Das hat sich erst in den vergangenen drei Jahren entwickelt.
In dieser Zeit bist du Europameisterin im Skyrunning sowie Weltmeisterin im Ultra Distance Skyrunning geworden und hast seit 2012 dreimal in Folge den Weltcup im Skyrunning gewonnen. Ist das sozusagen im Vorbeilaufen geschehen?
Naja … irgendwie schon. Natürlich trainiere ich inzwischen gezielt. Aber ohne meine Neugier auf neue Trails und dem puren Spaß an der Bewegung wäre ich niemals so weit gekommen.
Welches ist das schönste der vielen Rennen auf der ganzen Welt?
Für mich ist das die Kima Trophy rund um Filorera in der Nähe des Comer Sees. Ein sehr anspruchsvolles, technisches Rennen, eine wunderschöne Runde über einige Pässe. Dieses Rennen beinhaltet alles, was Skyrunning für mich bedeutet. Außerdem laufe ich sehr gerne das Dolomites Skyrace. Es sind nur 22 Kilometer, aber es geht rauf und runter, über einen superschönen Gipfel in den Dolomiten.
Und das härteste deiner Rennen? Wo bist du das gelaufen?
Das war zweifellos das La diagonale de fous auf La Réunion im Indischen Ozean. Das geht über 162 Kilometer, auf denen knapp 10.000 Höhenmeter zu bewältigen sind. Da hätte ich beinahe aufgegeben.
Was hat dich weitergetrieben? Die Neugier auf die restlichen Kilometer?
Nach 15 Stunden war gerade mal die Hälfte der Strecke absolviert, als ich vollkommen am Ende war. An einer Verpflegungsstation wollte ich aufhören, aber dort standen Freunde von mir, die mich motiviert haben, einfach weiterzulaufen. Vielleicht wollte ich wissen, ob es funktioniert. Auf jeden Fall bin wieder losgezogen, und plötzlich lief es bestens. Es war eine Gedankenbarriere, körperlich war es gar kein Problem.
Hilft dir das Wissen um solche Gedankenbarrieren auch im Training? Wenn du morgens nicht aufstehen willst?
Ich habe mal als Bäckerin gearbeitet und stehe gerne früh auf. Deshalb habe ich morgens keine Probleme mit der Motivation. Aber nachmittags oder abends kommt das schon vor. Da weiß ich in der Tat, dass es nur darum geht, sich aufzuraffen. Nach fünf Minuten bin ich schon wieder voll drin und spüre, wie gut es mir tut.
»Es ist wichtig, sich nicht unter Druck zu setzen.«
Emelie Forsberg
Wenn jemand mit dem Skyrunning beginnen möchte: Wie sollte er das angehen?
Meiner Ansicht nach sind Menschen nicht dafür geschaffen, über asphaltierte Straßen zu hetzen. Viel natürlicher ist es doch, auf Waldwegen oder Trails durch die Berge zu laufen! Deshalb würde ich jedem empfehlen, es einfach mal zu versuchen. Mit der Zeit passt man seine Bewegungen an. Und wenn man dann die Lust verspürt, an einem Rennen teilzunehmen … warum nicht? Wichtig erscheint mir nur, sich nicht unter Druck zu setzen.
Nach all den Orten, an denen du schon gelaufen bist. Wo zieht dich deine Neugier noch hin?
Ich würde gerne mehr von Russland entdecken, von den Bergen in Sibirien oder auch Kirgisistan. Aber auch die Slowakei und andere Länder im Osten Europas reizen mich sehr.
Und dann kommst du zurück in deine Wahlheimat Tromsö, 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Ist das nicht eine seltsame Wahlheimat?
Im Gegenteil, es ist wundervoll! Eine Stunde entfernt liegt Lyngen, eine Insel voll mit zerklüfteten, arktischen Bergen. Eine unglaublich pure, wirkliche Umgebung. Davon habe ich noch lange nicht genug.
Interview by Axel Rabenstein, published in SPORTaktiv 1/2015
EMELIE FORSBERG WURDE AM 11. DEZEMBER 1986 IN HÄRNÖSAND (SCHWEDEN) GEBOREN. IM JAHR 2012 GEWANN DIE SCHWEDIN DIE EUROPAMEISTERSCHAFTEN IM SKYRUNNING SOWIE IM ULTRA-DISTANZ SKYRUNNING. IN DIESER DISZIPLIN HOLTE SIE 2014 AUCH DEN WELTMEISTERTITEL MIT EINEM SIEG ÜBER 80 KM AM MONT BLANC. VON 2012 BIS 2014 SICHERTE SIE SICH ZUDEM DEN GEWINN DES SKYRUNNING-WELTCUPS. DARÜBER HINAUS GEWANN SIE ZAHLREICHE ULTRA-MARATHONS WIE DAS ULTRA RACE OF CHAMPIONS (UROC) ÜBER 100 KM IN KALIFORNIEN ODER DEN TRANSVULCANIA AUF DER KANARENINSEL LA PALMA (80 KM).
Photos: Oriol Batista; Sergi Colome, Lymbus; Kilian Jornet; Philipp Reiter; Jordi Saragossa; Jordi Vila