ER ZÄHLTE ZUR WELTELITE DER ALPINEN SKI-RENNLÄUFER. PLÖTZLICH ERKLÄRTE ER SEINEN RÜCKTRITT. WARUM HAT DARON RAHLVES DAS GETAN? GANZ EINFACH: WEIL IHM DIE ZEIT ZUM SKIFAHREN FEHLTE.
Daron, deine Skikarriere begann nicht im Schnee – sondern auf dem Wasser. Im Jahr 1993 wurdest du Jetski-Weltmeister. Wie kam es dazu?
Ich habe den Sommer schon immer im Wasser verbracht und den Winter im Schnee. Das ist gut für die Balance – und ich fahre bis heute gerne Wasserski. Als Kind nutzte ich den Jetski am Lake Tahoe auch als Fortbewegungsmittel, um mich mit Freunden in der Nähe zu treffen. Aber ich hatte schon immer dieses Wettkampf-Gen in mir. Und so kam es dazu, dass ich mit dem Jetski auch an Rennen teilnahm und schließlich den Titel des Weltmeisters holte. Mir liegt das Rennen wohl im Blut.
Was begeistert dich so sehr am Rennfahren?
Ich liebe die Herausforderung, sowohl mental als auch körperlich. Wenn du gegen die Uhr oder einen anderen Fahrer an den Start gehst, bist du zu hundert Prozent fokussiert. Das macht es so interessant – zu erleben, wie man unter diesem selbst auferlegten Druck agiert. Es fühlt sich besonders an, weil es so intensiv ist. Du kommst in einen Flow, dieses wundervolle Gefühl des Athleten, wenn die Dinge einfach geschehen. Dafür hast du lange trainiert, dich wochenlang vorbereitet. Nun kannst du für kurze Zeit komplett im Moment versinken. Mich reizt es einfach herauszufinden, aus welchem Holz ich wirklich geschnitzt bin, und was ich mir selbst abverlangen kann. Das finde ich am einfachsten in Wettkämpfen heraus, weil ich dort an meine Grenzen gehe.
»Schnee ist ein Wunder.«
Daron Rahlves
Das Herantasten an die eigenen Limits war es also, was dich jahrelang so sehr am alpinen Rennsport fasziniert hat?
Ganz genau … und es ist ein schmaler Grat! Du findest heraus, wie weit du gehen kannst. Und wo dann vielleicht doch mal eine Grenze war, die du überschritten hast. Vielleicht ist es nur ein kleiner Fahrfehler, der dir die Grenzen deiner Konzentrationsfähigkeit aufzeigt. Vielleicht bist du zu schnell und stürzt. Manchmal kommst du aber auch nach einem Rennen oder einem Ride unten an und denkst dir: Oh Mann, ich hätte noch mehr pushen können! Sich an diese Linie heranzutasten, ist die große Herausforderung.
Ist der Schnee ein besonders dankbares Element, weil man seine Grenzen austesten kann und dabei in den meisten Fällen nicht allzu hart fällt?
Für mich ist Schnee ein Wunder, ich liebe ihn einfach! Er fällt vom Himmel, bedeckt Berge und Täler. Er gibt dir die Freiheit, über die Hänge zu gleiten. Und er gibt dir die Freiheit, auch mal einen Fehler zu machen, weil du nicht auf einem Fels, sondern im weichen Schnee landest. Allerdings solltest du nach Möglichkeit immer wissen, wo du landest. Schnee macht die Berge zu einem gigantischen Spielplatz. Und jeder Tag ist anders. Ich empfinde es als großes Privileg, dass der Schnee eine so zentrale Rolle in meinem Leben spielt.
War das einer der Gründe für das Ende deiner Karriere im Jahr 2006? Weil du den Schnee einfach noch mehr genießen wolltest – in all seinen Facetten und nicht nur im Rennsport?
Ich hatte mich jahrelang auf den Rennsport konzentriert. Dann war es an der Zeit, mehr zu entdecken, weil ich noch lange nicht alles kannte. Ich wollte meine Fähigkeiten nutzen, um diesen Sport noch intensiver und aus anderen Perspektiven zu erleben. Deshalb bin ich in Alaska auf hohe Berge gestiegen, um den Schnee in einer ganz anderen Dimension zu erleben.
Worin liegt aus Fahrersicht der größte Unterschied zwischen Rennsport und Freeride?
Die Rennpiste ist präpariert, um sie von oben bis unten so schnell wie möglich abzufahren. Beim Freeriden trägst du mehr Verantwortung, teilst deinen Run in Sequenzen. Der Sicherheitsaspekt durch unvorhergesehene Ereignisse kommt hinzu und verlangt dir alles ab. Es können Felsen auftauchen. Es kann eine Lawine abgehen.
Warst du mal in echten Schwierigkeiten?
Einmal hätte es mich beinahe erwischt. Ich habe ein Schneebrett abgetreten und bin damit über eine Klippe gerutscht. Ich habe nur noch versucht, bei der Landung mit einem gezielten Sturz abzubremsen. Es kam eine Menge Schnee hinterher und drohte, mich zu verschütten. Ich konnte den Lawinenrucksack öffnen und mich gerade noch aus der Gefahrenzone retten. Da habe ich gemerkt, was ein einziger überraschender Moment auslösen kann, in welcher Gefahr du dich Sekundenbruchteile später wiederfindest.
Trotz durchaus unberechenbarer Gefahren verlassen immer mehr Menschen die gesicherten Pisten. Was zieht sie dort raus in die Wildnis?
Ich weiß nicht, warum andere es tun … aber ich weiß, warum ich es tue: Es ist einfach total echt! Du freust dich über die einfache Erfahrung und die klaren Gefühle, die du dort draußen erfährst. Du läufst hoch, investierst deine Zeit, deine Mühe, deinen Schweiß. Dann stehst du oben, machst dich bereit und die Freude darüber ist einfach riesengroß! Es ist wie meistens im Leben – je härter du für etwas gearbeitet hast, desto mehr weißt du es zu schätzen.
»Der eigentliche Wettkampf findet in dir selbst statt.«
Daron Rahlves
In 2008 hast du zusätzlich mit dem Skicross begonnen. Was hat dich dazu gebracht?
Es war neu für mich! Das reicht schon, es unbedingt ausprobieren zu wollen. Die Leute haben mich gefragt, warum ich mir das antue. Warum ich es riskiere, meinen Ruf als erfolgreicher Rennfahrer zu ruinieren. Aber mir ging es nicht um einen weiteren Titel – sondern einzig und alleine um die neue Erfahrung.
Und was für eine Erfahrung war es?
Im alpinen Rennsport spürst du, wenn du schnell bist. Aber du weißt erst im Ziel, wie schnell du wirklich warst. Beim Skicross geht es Mann gegen Mann um Positionen. Du weißt zu jeder Sekunde, wo du stehst. Du musst improvisieren, schnelle Entscheidungen treffen und kriegst auch mal einen Ellbogen ab. Aber der eigentliche Wettkampf findet am Ende in dir selbst statt. Und in egal in welcher Disziplin: Ich suche immer nur nach dem perfekten Run.
Und was war bis heute der Run deines Lebens?
Oh … da muss ich vielleicht doch wieder zurück zum alpinen Rennsport kommen. Ich denke das war mein Sieg in Kitzbühel im Jahr 2003. Dort gewonnen zu haben, ist unvergesslich. Wir waren erst vor wenigen Wochen bei der US-Premiere des „Streif“ Filmes in New York. Ich saß mit Gänsehaut im Kino. Es kam alles noch einmal hoch.
Wenn du nun alle Arten des Skifahrens vergleichst – was ist die beste?
Ich kann mich nicht entscheiden! Deshalb mache ich doch alles …
Interview by Axel Rabenstein, published in SPORTaktiv 6/2015
DARON LOUIS RAHLVES WURDE AM 12. JUNI 1973 IN WALNUT CREEK (KALIFORNIEN) GEBOREN. AB DEM JAHR 2000 ZÄHLTE ER ZU DEN WELTBESTEN ATHLETEN IN ABFAHRT UND SUPER-G. NACH DER SAISON 2005/2006 ERKLÄRTE ER ÜBERRASCHEND SEINEN RÜCKTRITT, DEN ER DAMIT BEGRÜNDETE, DASS ER NEBEN TRAINING, WETTKAMPF UND MATERIALTESTS KAUM NOCH ZEIT FÜR SEINE EIGENTLICHE LEIDENSCHAFT HABE – DAS FREERIDEN. RAHLVES WURDE 2001 WELTMEISTER IM SUPER-G, ER GEWANN AUF DER „STREIF“ IN KITZBÜHEL UND AM „LAUBERHORN“ IN WENGEN. 2008 GEWANN ER DEN TITEL BEI DEN WINTER-X-GAMES IM SKICROSS. DISZIPLINÜBERGREIFEND VERBUCHT DER US-AMERIKANER 28 WELTCUP-PODIEN, ZWÖLF WELTCUP-SIEGE UND DREI WM-TITEL.
Photos: Mike Arzt, Darren Carroll, Mika Merikanto, alle Red Bull Content Pool