ES BEGANN MIT EINEM TREPPENLAUF AUF DEN DONAUTURM. SEITDEM GEHT’S HOCH HER. HEUTE IST ANDREA MAYR 6-FACHE WELTMEISTERIN IM BERGLAUF. UND EINE DER ERFOLGREICHSTEN AUSDAUER-ATHLETINNEN ALLER ZEITEN.

 

Andrea, haben Sie Angst vor dem Liftfahren?

Nein, habe ich nicht.

Dafür nehmen Sie aber auffallend häufig die Treppe.

Das stimmt. Ich geh‘ lieber die Treppe hoch, als im Lift zu stehen. Mit der Rolltreppe ist es das gleiche. Mir fällt das schon gar nicht mehr auf. Nur, wenn ich mit Bekannten unterwegs bin. Die zieht es immer zur Rolltreppe, während ich automatisch in Richtung Treppe gehe.

Nehmen Sie immer die Treppe?

Früher habe ich das kategorisch gemacht. Aber wenn ich vom Einkaufen komme, voll beladen bin und da steht zufällig der Lift … na ja, dann steig‘ ich schon mal rein.

Sie sind eine der erfolgreichsten Treppenläuferin der Welt. Wie kommt man dazu, Wolkenkratzer hochzurennen?

Das war Zufall. Ein Freund erzählte mir vom Rennen auf den Donauturm. Da gab es 500 Euro für die beste Zwischenzeit, für den Sieger eine Kaffeemaschine und eine Reise zum Rennen auf das Empire State Building. Ich war Studentin und scharf auf die 500 Euro.

Und die haben Sie gewonnen?

Ja. Die Kaffeemaschine auch. Und die Reise nach New York. Da wollte ich erst gar nicht hinfliegen, aber dann hab‘ ich es doch gemacht.

Den Treppenlauf auf das Empire State Building haben Sie dann gleich drei Jahre in Folge gewonnen.

Ja, das stimmt. Ich habe bis jetzt überhaupt jeden Treppenlauf gewonnen, an dem ich teilgenommen habe. Immer mit Streckenrekord. Ich weiß auch nicht, wie das funktioniert.

»Also landschaftlich sind Treppenläufe ja weniger reizvoll.«

Andrea Mayr

Nun sind Treppenrennen zu ihrer großen Leidenschaft geworden?

Also landschaftlich sind Treppenläufe ja weniger reizvoll. Aber man kommt viel rum und lernt die ganze Welt kennen.

Zum Beispiel Taipeh. Da haben sie den Lauf auf das höchste Haus der Welt gewonnen.

Ja, die haben mich angeschrieben, weil ich in New York gewonnen hatte. Aber mein erstes Rennen in Taipeh war irrsinnig schwer. Da gab‘s nämlich 10.000 Dollar Preisgeld für den ersten Platz und für den Zweiten hatten sie kaum noch was übrig. Also wollte ich unbedingt Erste werden. Nur war das in New York viel einfacher. Dort ist es ein Massenstart und nach 30 Metern müssen alle durch eine relativ enge Tür. Wenn ich da als Erste durchkomme, weiß ich, dass ich vorne bin. In Taipeh läuft man einzeln auf Zeit und bei meiner ersten Teilnahme konnte ich ja nicht wissen, wie schnell die anderen so sind.

Sie haben trotzdem gewonnen.

Vielleicht deswegen. Ich bin da um mein Leben hochgerannt. Das war echt brutal. Normalerweise nimmt man auch auf beiden Seiten das Geländer zu Hilfe, aber in Taipeh geht das nicht. Da ist das Treppenhaus zu breit. Außerdem sind die Stufen noch ein bisschen höher als üblich und es gibt unterwegs keine einzige ebene Stelle. Das war auch so ein Rennen, wo ich mir dachte: Bist narrisch! Das war schon verdammt anstrengend.

 

 

Was war das Anstrengendste, was sie jemals gemacht haben?

Schwer zu sagen. Ich hab‘ schon viele anstrengende Sachen gemacht. Ich kann mich gut dran erinnern, als ich 2005 in Österreich das erste Mal die Berglauf EM gewonnen habe. Das letzte Stück macht man 300 Höhenmeter auf einer Strecke von 800 Metern. Ich hatte zwei Minuten Vorsprung und wäre am liebsten kurz stehengeblieben und ein Stück gegangen. Gewonnen hätte ich eh‘ – aber die haben alle geschrien und mich angefeuert. Da hab‘ ich mich nicht getraut stehenzubleiben. Ich wollte die Leute ja nicht enttäuschen.

Und der Marathon in Wien?

Der war auch anstrengend.

Es war Ihr erster Marathon überhaupt. Sie haben ihn in neuer österreichischer Landesrekordzeit gewonnen.

Ja, schon erstaunlich. Dabei war ich auch noch verletzt.

Was ist passiert?

Ich hatte zu viel trainiert und dabei den Fuß überlastet. In der Folge habe ich mir erst eine und dann eine zweite Sehne gerissen. Dadurch senkte sich das Fußgewölbe und das Schienbein stand falsch auf dem Fuß. Dann kam auch noch eine Stressfraktur im Inneren des Schienbeins hinzu. Die Ärzte meinten, man müsse den Fuß operieren und ich dachte mir: Operieren ist operieren. Dann kann ich auch gleich versuchen, noch den Marathon zu laufen. Ein Tapeverband hat den Fuß dann stabilisiert und ich konnte den Umständen entsprechend ganz gut trainieren.

Haben Sie Schmerzmittel genommen?

Nein. Solange man seine Schmerzen spürt, kann man nicht so viel kaputt machen. Im Training bin ich die erste Viertelstunde immer gehumpelt, aber wenn der Fuß dann warm war, ging’s ganz gut. Ich war in Form, hatte so brav trainiert und wollte unbedingt den Marathon laufen. Ehrlich gesagt, war’s gar nicht so schlimm. Auch, wenn ein Marathon natürlich immer anstrengend ist. Viele Leute dachten, ich würde wegen meiner Verletzung so komisch laufen. Aber ich laufe immer so.

»Wenn ich ans Limit gehe, dann gebe ich 100 Prozent. Mehr geht ja eh nicht.«

Andrea Mayr

Derzeit läuft die Tour de France. Wenn sie denen zusehen, wie sie sich zu einer Bergankunft hochquälen. Sind Sie dann ein bisschen neidisch?

Ja wirklich, das fände ich schon ganz nett. Bei den Bergetappen ist das sicher eine Kopfsache. Wer kann noch ein paar Prozent aus sich rausholen, wer kommt am nächsten an sein Limit von 100 Prozent? Das ist spannend.

Ein bisschen schmerzgeil sind sie aber schon, oder?

Na ja, die Leute sagen wirklich, dass ich mich schon besonders gut quälen kann.

Was ist das Schöne daran?

Schwer zu beschreiben. Aber die letzten zwei Kilometer vom Marathon zum Beispiel, da war ich völlig erschöpft. Das war einfach ein gutes Gefühl.

 

 

Ist das angenehme Gefühl der totalen Erschöpfung in allen Disziplinen identisch?

Grundsätzlich ist es immer gleich anstrengend. Egal, welche Sportart ich ausübe. Wenn ich ans Limit gehe, versuche ich 100 Prozent zu geben. Mehr geht ja nicht. Aber beim Berglauf fühlt sich diese Erschöpfung anders an. Es ist dann kein spezieller Muskel, der mir weh tut.

Sondern … alles?

So ungefähr. Das Laktat schießt dir irgendwann immer in die Muskeln. Aber beim Berglauf ist dieses Gefühl der körperlichen Beanspruchung noch extremer. Manche reden von Schmerzen, ich würde das nicht tun. Diese vollkommene Anstrengung ist ein besonderes Gefühl, ein Ganzkörpergefühl, irrsinnig intensiv. Ich nehme das positiv wahr.

Und deshalb laufen Sie am liebsten Berge hoch?

Zum Kugelstoßen bin ich zu schwach, zum Sprinten zu langsam und zum Hochspringen zu patschert. Aber ich kann eben gut laufen. Und zwar am besten in Steilpassagen. Also laufe ich bergauf.

 

 

Was fasziniert sie – außer dem Ganzkörpergefühl – am Berglaufen?

Es gibt viele Rhythmuswechsel, und auch von der Umgebung her ist die Abwechslung groß. Und das ist wichtig für die Motivation. Das würde ich auch jedem Hobbyläufer empfehlen, sich immer wieder schöne Strecken zu suchen. Wenn ich auf der Donauinsel rauf und runter laufe, wird mir schnell fad. Im Wienerwald dagegen fällt mir gar nicht auf, wie weit ich laufe.

Besichtigen Sie die Strecken, bevor sie den Berg hochrennen?

Nach Möglichkeit schon. Aber immer geht das auch nicht. Als ich meine erste Berglauf-WM gewonnen habe, sind wir viel zu spät angereist. Das war in der Türkei und wir kamen irgendwann nachts im Hotel an. Ich habe dann andere Athleten gefragt und die haben mir die Strecke beschrieben. Am Ende bin ich voll blind ins Rennen gelaufen.

Sie haben trotzdem gewonnen.

Da war ich einfach gut drauf. Und wenn ich gut drauf bin, dann ist es egal. Ansonsten ist es natürlich wichtig zu wissen, wie man sich seine Kräfte einteilen muss. So wie beim Radfahren. Da muss man auch die flacheren Stücke nutzen, um sich auszuruhen.

Schönes Stichwort. Kommt es nicht vor, dass Sie sich mal ausruhen und nur gammeln wollen?

Wenn ich hart trainiert habe, fühle ich mich durchaus schwer. Dann brauche ich auch meine Ruhe.

Könnten Sie tagelang foul auf der Couch liegen?

Das würde mir schwer fallen. Einen Kebab esse ich schon mal, das schmeckt mir. Ich brauche Bewegung, damit ich ausgeglichen bin. Als ich nach einer OP einen Gips tragen musste, hab‘ ich immer Liegestütze gemacht.

Und wenn Sie alt sind? Was machen Sie dann?

Irgendwas wird mir schon einfallen. Ich brauche was Anstrengendes. Zum Glück gibt es viele Dinge, die mich noch reizen würden. Klettern zum Beispiel. Oder Rudern.

Und in naher Zukunft? Mal den Mount Everest hochjoggen?

Der muss es nicht unbedingt sein, ich bin ziemlich kälteempfindlich. Aber den Kilimandscharo würde ich gerne mal besteigen. Mir wird schon was einfallen.

Interview by Axel Rabenstein, published in TOPTIMES 4/2009

 

ANDREA MAYR WURDE AM 15. OKTOBER 1979 IN WELS GEBOREN. MIT 23 JAHREN GEWANN SIE ERSTMALS DEN TITEL DER ÖSTERREICHISCHEN STAATSMEISTERIN IM BERGLAUF – UND SEITDEM GEHT ES STEIL NACH OBEN. BIS HEUTE HAT SIE 45 (!) STAATSMEISTERSCHAFTEN GEWONNEN, ALLEINE IM JAHR 2006 IN DEN DISZIPLINEN 3.000 METER HINDERNIS, 10.000 METER BAHN, 10.000 STRASSE UND CROSSLAUF. SIE GEWANN 3X IN FOLGE DEN „EMPIRE STATE BUILDING RUN“ SOWIE 3X IN FOLGE DAS „TAIPEH 101 RUN-UP-RACE“. BEI IHREM MARATHON-DEBÜT (!) IM JAHR 2009 VERBESSERTE SIE DEN LANDESREKORD VON EVA-MARIA GRADWOHL UM ACHT SEKUNDEN AUF 2:30:43H. ANDREA IST MIT 6 TITELN REKORDWELTMEISTERIN IM BERGLAUF, 2017 WURDE SIE ZUDEM WELTMEISTERIN IM SKI-BERGSTEIGEN.

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Photos: Andrea Mayr; Pexels / Pixabay